Liebe Gemeinde!

Das Dreikönigsfest heißt im kirchlichen Sprachgebrauch „Erscheinung des Herrn. Gott wird offenbar, - nicht nur an Weihnachten, den Hirten, sondern der ganzen Welt, vertreten durch die Sterndeuter.

In der Ostkirche ist das heutige Fest der eigentliche Höhepunkt des Kirchenjahres. Dieses Fest ist ein Ereignis, wo sich die Weltkirche zeigt. Die Magier, die die Sternsinger heute darstellen, sind Vertreter aus allen Ländern und von verschiedenen Hautfarben.

In diesem Fest der Erscheinung Gottes schwingt eine internationale Verbrüderung und Verschwisterung aller Kinder Gottes mit. Wenn wir aber vom 'O ffenbar werden' Gottes reden, müssen wir erstmal feststellen, dass wir Menschen immer weniger wissen, was mit dem Wort Gott eigentlich gemeint ist. Verbinden wir wirklich Erfahrungen mit dem, was wir Gott nennen. Oder hatte der Philosoph Friedrich Nietzsche recht, der sagte, dass Gott unauffällig gestorben sei und dass keiner seinen Tod bemerkt hat.

Der Jesuitenpater Alfred Delp hat schon vor fünfzig Jahren davon gesprochen, dass der moderne Mensch gottesunfähig geworden sei. Er meinte, wir hätten verlernt, wie diese Gottesbegegnung zu finden ist. Er spricht nicht von einer böswilligen Abkehr von Gott, sondern von einer hilflosen Unfähigkeit zu Gott.

Alfred Delp wurde am 2. Februar 1945 in Berlin Plötzensee hingerichtet. Sein Glaube an Gott war geprüft durch die Verfolgung und ist gewachsen im Leid. Kurz vor seinem Tod schrieb er zum Dreikönigsfest 1945 im Gefängnis eine Predigt. Seine Worte sind bis heute aktuell. Vor allem erkannte er die Probleme, die wir heute noch mit der Gottesbegegnung haben. Für ihn ist Gottesbegegnung nicht einfach eine kurze Schau wie im Theater. Gottesbegegnung verändert das Leben entscheidend. Er schreibt: „ Ein Leben ist verloren, wenn es nicht in ein Wort, in eine Haltung, in eine Leidenschaft sich zusammenfasst.“ Damit erkannte er, wie gottlos unser Leben wird, wenn es in viele verschiedene Rollen auseinanderfällt.

Diese Rollen suchen wir uns nicht einmal selbst aus. Oft sind Berufsleben, Familienaufgaben, Staatsbürgerpflichten Dinge, die wir aus schlichter Anpassung übernehmen, ohne uns bewusst dafür zu entscheiden. Ein Leben mit Gott ist ein Leben, in dem wir nicht einfach gelebt werden von außen, sondern aktiv unser Leben an einem Ziel ausrichten. Für Alfred Delp ist die Geburtsstunde der menschlichen Freiheit, die Stunde der Begegnung mit Gott. Wir Menschen müssen erst frei sein, wenn wir Gott begegnen wollen. So wie die drei Sterndeuter aus dem Osten, müssen auch wir aus unserer Heimat aufbrechen und durch die Wüste ziehen. Das ist ein Abenteuer, ein Risiko. Unsere Heimat ist unser geregeltes Leben unser Untertauchen in der Gruppe. Die Wüste für uns heute ist das Wagnis einen eigenen Weg auch alleine zu gehen und alles auf eine Karte zu setzen. Auf die Karte Gott.

Dieser Zug hinter dem Stern her hat die drei Sterndeuter verändert. Auch uns verändert die echte Suche nach Gott. Sie kostet geradezu unser Leben, das Leben in der Anpassung, das Leben in der Sicherheit. Wer nicht aufbricht wie die drei Sterndeuter aus dem Osten, kann Gott nicht begegnen. Die Sterndeuter in Jerusalem, die Priester im Tempel und die Hierarchie im Land, sie alle haben den Stern verschlafen, sie haben Gott nicht gefunden.

Alfred Delp schrieb an Dreikönig 1945 über seine Zeitgenossen. Das schlimmste ist, dass der Mensch sich an die Unfreiheit gewöhnt und selbst die ödeste und tödlichste Sklaverei sich als Freiheit aufreden lässt. Nicht nur für seine Zeitgenossen gilt das. Bis heute sind wir gefangen in den Sachzwängen und Selbstverständlichkeiten. Auch wir leben im Dunkel der Gottferne auch wir brauchen einen Stern, dem wir folgen können. Auch wir müssen immer wieder aufbrechen, wie die Könige. Gott schickt uns dieses Zeichen, das uns ruft, wenn wir genau hinschauen. Für Alfred Delp war es der Konflikt mit der Diktatur und das Todesurteil, das ihn wie ein Stern Gott immer näher kommen ließ. Immer mehr prägte die Antwort auf Gottes Anruf, die Entscheidung zum Widerstand sein Leben.

Drei verschiedene Sterne gibt es auf dem Weg zu Gott. Gott zwingt einen Menschen aus sich heraus durch die Übermacht von Not und Leid. Ein anderer Weg ist die Lockung durch Bilder der Schönheit und Wahrheit. Auch dieser Stern kann zu Gott führen. Einen dritten Stern beschreibt Alfred Delp so: „Gott quält den Menschen heraus durch unendliche Sehnsucht, durch Hunger und Durst nach Gerechtigkeit. Gerade diese quälende Sehnsucht nach Gerechtigkeit, sie ist an viele von uns hier gestellt. Sie lockt uns aufzubrechen und unsere verfestigte Welt zu verlassen. Der Mensch muss sich selbst hinter sich gelassen haben, wenn er eine Ahnung von sich selbst bekommen will. Aber wie geht das???

Ich komme mir vor wie ein Sterndeuter aus Jerusalem, der nichts versteht und nicht weiß, wie er aufbrechen soll. Ich erinnere mich aber an Menschen, die für mich wie Sterndeuter aus dem Osten waren. Menschen, die keine fertigen Pläne hatten, die eigentlich nur Hoffnungen hatten. Sie haben alles von Gott erwartet und sie haben ein unerschütterliches Vertrauen gehabt, dass Gott treu ist. Dieses Vertrauen, dieser Glaube, so denke ich, war der Antrieb der Magier aus dem Osten. An solche glaubensstarken Menschen wollen die Sternsinger erinnern. Ihren Stern, ihre unerschütterliche Hoffnung verkünden sie, keine vergangene Geschichte. Immer wieder erleben wir den Aufbruch der Könige im konkreten Leben. Für manche kann das z.B. damit beginnen, dass sie mit einer Behinderung weiterleben müssen. Sie fügen sich nicht nur in ihr Schicksal, sondern sagen aktiv Ja und verändern sich. Oder Eltern sagen Ja zu dem Leben, das sie in ihrem Kind anvertraut bekommen und übernehmen bewusst die Mitverantwortung.

Das sind die ersten Schritte auf Gott hin, die uns mehr und mehr verändern. Am Ende dieses Weges steht Bethlehem und der Stall. Dort ist nicht nur das Ziel unseres Weges, dort ist der Sinn des Lebens. Gott zu lieben und zu danken. Das begreifen wir aber erst nach und nach, wenn wir uns auf den Weg gemacht haben, wie die Sternsinger und wenn wir ihrem Stern folgen.

Pfr. Gerald Warmuth

Liebe Gemeinde!

Um Gericht und um Rettung geht es heute im Evangelium. Wer die Wahrheit tut, kommt zum Licht. Was ist gut und was ist böse? Was ist die Wahrheit?

Auf diese Fragen antwortet Johannes im Abschnitt des Evangeliums an diesem 4. Fastensonntag. Wer die Wahrheit tut, kommt ans Licht, damit offenbar wird, dass seine Taten in Gott vollbracht sind. Ich denke dabei an etwas, das ich in Amerika erlebt habe. Als ich in Manhatten, in New York, lebte, bemerkte ich, dass die Kanalarbeiter stets mit einem Gewehr zu ihrer Arbeit hinabstiegen. Als ich nachfragte, erfuhr ich, dass es dort im Kanal Alligatoren gab. Sie waren als Haustiere verkauft worden und, als sie nicht mehr in die Badewanne passten, haben sie die Leute ausgesetzt. Sie haben sich an die Unterwelt angepasst. Sie leben von Ratten, die sie anhand ihres Riechorgans fangen. Diese Alligatoren leben stets im Dunkeln und sind praktisch blind.

Es beschäftigt mich, dass diese Tiere gelernt haben nur im Dunkeln zu leben. So wie diese Kanalechsen stelle ich mir Menschen vor, die nur im Dunkeln leben. Sie sind wie Fledermäuse: Sie haben nie etwas anderes erlebt, aber sie kennen keine Wärme, kein Licht und keine Farbe. Muss man sie bedauern?

Wenn Jesus Menschen ruft in der Wahrheit zu leben, ans Licht zu kommen, geht es nicht um Schuld. Es geht um eine Einladung, anders zu werden und anders zu sein. Dieser Einladung zu folgen ist nicht leicht. Es ist sogar sehr schwer. Wie soll sich eine Fledermaus zu einer Taube verwandeln? Nur so versteh ich diese rätselhaften Worte des Jesus. Wer nicht umkehrt, ist schon gerichtet. Er bleibt ein Kanalwesen. Jesus ist nicht gekommen, um zu richten und zu bestrafen. In der deutschen Sprache hat Gericht und Richten einen doppelten Sinn, das erhellt das Evangelium.

Richten kann aufrichten bedeuten.... Richten kann herrichten bedeuten Es geht um ein Verwandeln. Um einen Sinn für die Wahrheit, um das Leben in der Wahrheit, als Taube, nicht als Kanalratte. Jesus ist die treibende Kraft, wir können ihm entgegenkommen, indem wir Orte suchen, wo das Leben natürlich ist, Orte von Sonne und Schönheit, voll Solidarität und Mitgefühl. Wir können geschwisterliche Gemeinschaft suchen und aufbauen, dort werden wir schneller oder langsamer verwandelt werden. Wir können solche Orte suchen und die Kanäle meiden.

Als Pfarrer werde ich oft gefragt: Ist das eine Sünde? Die wenigstens meinen diese Frage ernst. Viele Christen aber haben wirklich kein Verständnis, was Schuld ist und was Sünde ist. Viele Menschen, auch Christen, wissen erst gar nichts mit diesem Wort, mit dem Begriff Sünde anzufangen. Was ist Sünde? Die Bibel ist voll von diesem Begriff. Was heißt er? Ich greife einen Satz aus der Lesung auf: Wir waren tot infolge unserer Sünde, dadurch dass Gott uns geliebt hat, sind wir wieder lebendig. Ich will das Schriftwort umdrehen, um der Frage nachzugehen, was Sünde ist.

Sünde ist das, was uns tot macht, das, wodurch unsere Lebendigkeit beschränkt ist. Mit Tod ist hier nicht der körperliche Tod gemeint, sondern ein innerliches Absterben. Wir müssen, um das zu verstehen, unsere Wahrnehmung schulen. Mit Feingefühl müssen wir unser Leben betrachten. Dort, wo wir in guter Beziehung sind, sind wir lebendig. In guter Beziehung zu all unseren Mitmenschen. In guter Beziehung zu unserer Umwelt. In guter Beziehung zu uns selbst. In guter Beziehung zu Gott. Sünde dagegen ist der Zustand der Trennung. So ergeben sich vier Arten von Sünde.

Die Sünder, bei der die Beziehung zu den Mitmenschen zerbrochen ist. Durch böse oder lieblose Worte, oder wenn wir andere ausgenutzt haben. Wenn wir Menschen beherrschen, nicht als Menschen, sondern als Gegenstände behandeln, den alten pflegebedürftigen Onkel, den Aidskranken Nachbarn, den Asylbewerber. Den Schaden durch diese Sünde haben nicht die anderen. wir selbst verlieren die gute Beziehung zu den Menschen, wir selbst verlieren Lebendigkeit, wir werden einsam. Sünde ist eine Belastung für uns.

Eine andere Art der Sünde ist es, wenn wir die gute Beziehung zu unserer Umwelt abbrechen, weil wir sie schädigen und nicht verantwortungsvoll sind. Wenn wir unsere Gesellschaft durch Betrug schwächen, wenn wir die Ordnung aus Habgier unterlaufen, wenn wir die Natur ausbeuten, verlieren wir das unbeschwerte Leben. Psychisch werden wir krank an diesem abgespaltenen Leben. Sünde ist eine Belastung für uns.

Eine dritte Art der Sünde ist, wenn wir mit uns selbst unversöhnt sind. Wenn wir unseren Körper bekämpfen durch ehrgeizige Arbeitswut, oder aus Eitelkeit abnehmen wollen, oder uns mit Drogen aus der Realität herausflüchten. Wer sich selbst bekämpft, wer keinen Frieden mit sich selbst hat, der hat keinen Zugang zum echten Leben. Er wird von außen gelebt. Innerlich ist er tot. Sünde ist eine Belastung für uns.

Schließlich gibt es die Sünde, wenn die Beziehung zu Gott abgebrochen ist. In dieser Beziehung liegen alle 3 Arten der Beziehung. Gott begegnet uns im Nächsten, in der Umwelt und in unserem Selbst. In Gott tritt uns die Gesamtheit unserer Erfahrungen, tritt uns die ganze Welt gegenüber. Ist diese Beziehung abgebrochen, dann ist die Welt für uns ein totes Gegenüber. Sie verliert ihre Bedeutung, ihren Sinn. Aber nicht die Welt ist tot. Wir haben uns selbst ausgeschlossen aus der Lebendigkeit. Sünde ist eine Belastung für uns.

Die Frohe Botschaft des Paulus heute sagt: Dieser Zustand der Sünde, dieser Beziehungsbruch, wird von der anderen Seite her überwunden. Gott kommt mit seiner Liebe auf uns zu. Gott tut den ersten Schritt der Versöhnung. Buße und Umkehr heißt lediglich, diese ausgestreckte Hand Gottes anzunehmen. Gott drängt uns mit seiner Liebe zu dieser Versöhnung, aber er zwingt uns nicht. Jesus ist nicht gekommen, damit er die Welt richtet. Er ist gekommen um zu retten, was verloren ist. Wer nicht glaub,t ist schon gerichtet. Wer nicht ans Licht kommt, der bleibt im Dunklen. Amen.

Pfr. Gerald Warmuth

Liebe Gemeinde!

Die sogenannten Abschiedsreden Jesu, die Johannes uns überliefert hat, klingen zunächst etwas wirr. Es scheint dass Jesus mehr mit sich selbst redet als zu den Jüngern. Was wir heute gehört haben ist ein Gebet und keine Rede. Dieses Gebet zeigt uns die Gedanken aber auch die Gefühle des Jesus von Nazareth. In diesem Gebet erleben wir nicht einen strahlenden Triumphator, der seinen Weg zügig geht. Wir erleben einen Menschen mit Angst und voller Mitgefühl für die Zurückbleibenden. Wir erleben einen Menschen der sich bittend einsetzt für andere.

Um zwei Dinge bittet er für die Menschen: Heilige sie in der Wahrheit! Bewahre sie, damit sie eins sind wie wir! In dieser Bitte um Einheit, liegt das eigentliche Vermächtnis diese Abschiedsgebetes. Uns wird ein Auftrag erteilt: Seid eins, wie der Vater und ich eins sind. Dieser Auftrag Jesu, gegeben vor fast 2000 Jahren ist ein zeitloser Auftrag.

Die Geschichte und die Beobachtung des Menschen lehren uns, dass diesem Auftrag immer wieder eine andere Kraft entgegensteht. Menschengruppen und einzelne Menschen grenzen sich immer wieder selbst aus und sondern sich ab. In Familien, Vereinen und Staaten entsteht Streit und Spaltung. Die Wurzeln dafür sind Gier, Eifersucht, Hass oder einfach Desinteresse.

Der Aufruf zur Einheit fordert uns. Wir sollen uns immer wieder neu anstrengen all das zu überwinden, was uns trennt. Über die Trennung in reich und Arm und über die Überwindung eines solchen Grabens reden viele tausend Christen in diesen Tagen in Münster beim Katholikentag. Uns verpflichtet sein Wort: 'Suchet den Frieden', uns alle, die wir uns nach diesem Christus nennen.

Wie revolutionär das ist, merken wir, wenn wir auf das schauen, was seit Urzeit die Menschen verbindet. Nicht das Wort, sondern das Blut. Es ist die Abstammung, die seit Jahrtausenden bestimmt, wer dazugehört und wer nicht. Ausgedehnt wurde diese Verbindung auf die Großfamilie, das Volk und die Rasse. Eines musste immer bleiben. Es gibt immer auch die anderen, die, die jenseits dieser Grenze sind, die, die nicht dazugehören. Diese Grenzen sind heute meist völlig künstlich. Ob einer für den VfB ist oder für Bayern, ob einer CDU wählt oder SPD. Ob einer einen deutschen Stempel im Pass hat oder einen anderen. Die meisten Verbindungen halten nur durch einen Gegner oder ein Feindbild zusammen. Die Verhaltensforscher bestätigen diese Beobachtung und manche Politiker hegen ein Feindbild als politisches Mittel zur Festigung der Gemeinschaft.

Uns verbindet das Wort und der Auftrag Jesu: Der Anspruch der Heiligen Schrift stellt sich der Anthropologie entgegen. Paulus erklärt im Kolosserbrief, dass es dort, wo der Mensch nach dem Bild Gottes erneuert wird, weder Griechen noch Juden, Beschnittene noch Unbeschnittene, weder Fremde, Skythen, Sklaven oder Freie gibt, sondern Christus alles in allem ist. Jesus hat eine neue Zeit begonnen und eine neue Art der Gemeinschaft und Gemeinsamkeit unter den Menschen begründet. Auf vielfache Weise versucht er die blutsmäßige Zusammengehörigkeit der Menschen auszuweiten.

Eine neue Zeit, mit der auch das Zeitalter der Ideologien begann. Uns verbindet eine Idee: So könnte man die Grundlage für den Ost-West Konflikt beschreiben, der die Spaltung in Europa vertieft hat . Kapitalismus und Kommunismus. Nationalismus und Rassismus. Eine Idee ist eben noch nicht das Wort Gottes. Eine Idee allein wird auch das neue Europa nicht nachhaltig verbinden. Nur dieses Wort Gottes, die Wahrheit, verbindet Menschen, ohne sie zu Sklaven der Einheit werden zu lassen. Kapitalismus als Einheitswort kann nicht die Lösung sein. Das Einheitswort heißt Versöhnung: Wie Gott der Vater und der Sohn eins sind, so sollen wir eins werden. Wir sollen einander Söhne und Töchter werden. Die alte Blutsverwandtschaft ist das Bild eines geistlichen Vorgangs. Diese Versöhnung geschieht dann nicht, weil es ein Präsident oder Bischof angeordnet hat. Nicht, weil es uns einen Vorteil bringt, nicht weil es unsere patriotische Pflicht ist. Versöhnung geschieht einfach aus dem Grund, dass wir zusammengehören, dass wir verwandt sind, dass wir einander in Liebe verbunden sind.

An (Pfingsten) sammeln wir Geld für die Schwesterkirchen in Osteuropa. Das allein genügt nicht. Versöhnung heißt nicht nur Almosen geben. Versöhnung heißt dauerhaftes und echtes Interesse für die Lebenswirklichkeit der Partner. Versöhnung heißt Anteil nehmen und Anteil geben am eigenen Leben. Versöhnung heißt immer auch sich selbst zu verändern. wenn Jesus sagt: Seid einmütig, seid eins. Dann sagt er nicht: Lasst alles beim alten, fangt keinen Streit an und ändert nichts. Im Gegenteil: Jesus ruft uns auf, uns zu versöhnen, uns zu verändern, anderen Anteil zu geben an unserem Leben und davon niemanden auszuschließen. Was Jesus sagt, ist nur auf den ersten Blick konservativ und beruhigend. Was Jesus sagt, ist vielmehr revolutionär und abenteuerlich. Er ruft Menschen auf, Vater und Mutter zu verlassen wie einst Abraham. Er ruft sie auf die Treue und Traditionen zu brechen, wie den jungen Mann, der zuerst seinen Vater beerdigen will. Seid eins, wie der Vater und ich eins sind, das ist keine ängstliche Beschwichtigung. Es ist eine unerhörte Aufforderung über den eigenen Schatten zu springen und neu, ganz neu zu werden. das gilt für die Ökumene, das gilt für Europa, das gilt für unsere Gemeinden in der Seelsorgeeinheit, das gilt für die verschiedenen Generationen und Gruppen in unserer Gemeinde, das gilt für unsere Familien. Amen.

Pfr. Gerald Warmuth

Liebe Gemeinde!

Der Mensch ist, was er isst. Das zweite „ist“ schreibt sich mit ß oder in der neuen Rechtschreibung mit ss. Dieser Satz gilt als Kurzzusammenfassung des Materialismus und bedeutet, dass der Mensch nur eben das ist, was er an Materie aufnimmt. Wie eine Maschine sei der Mensch eben nur die Summe seiner Einzelteile. Materialismus ist die geistige Grundlage des Kommunismus und hat als Grundlage auch den Zusammenbruch der kommunistischen Gesellschaftssysteme überstanden. Materialismus ist aber auch die geistige Grundlage in unserem kapitalistischen Gesellschaftssystem. Dinge, die wir erleben, versuchen wir auf ihre Ursachen zurückzuführen, um sie zu erklären. Ein auffälliges Verhalten hat ein Mensch entweder geerbt oder er hat eine Erfahrung gemacht, die ihn entsprechend geprägt hat. So versuchen wir zum Beispiel das Verhalten der fremdenfeindlichen Gruppen zu verstehen, über die gerade in Deutschland so viel geredet wird.

Der Mensch ist, was er isst. Was er in sich hineinsteckt, was er konsumiert hat, und wer nichts zu beißen hat, der ist eben wenig oder nichts. Nur noch unsere Verfassung und unser Rechtssystem schützen das Wesen und die Würde eines Menschen. Von der breiten Masse der Bevölkerung wird dieser Schatz der Lebenswürde kaum noch mitgetragen. Der Mensch ist, was er isst. Ich möchte dieses Schlagwort des Philosophen Ludwig Feuerbachs nicht polemisch bekämpfen, sondern es ernst nehmen – angesichts des Evangeliums heute.

Ich bin das lebendige Brot Wer von diesem Brot ist, wird in Ewigkeit leben. Der Mensch ist, was er isst. Vorschnell könnten wir Katholiken denken. Jesus und Ludwig Feuerbach sind sich einig und Jesus gibt uns daher das eucharistische Brot zum Essen, damit wir etwas sind. Das Bild vom Brot, das Johannes uns überliefert, aber ist viel tiefer und hilft uns, unser Leben zu verstehen und zu gestalten. Nicht nur um körperliches Essen und Trinken geht es dabei, sondern um alles Aufnehmen. Wir Menschen sind wirklich nur das, was wir aufgenommen haben in uns, als Erfahrung. Bleiben wir im Bild vom Essen. Der Eine ist groß uns stark, weil er stets genug gegessen hatte, ein anderer stirbt an Skorbut oder durch Schwäche. Für ihn war nie genug zu essen da.

Dieses Bild vom Brot spricht darüber, warum der eine so ist und der andere eben anders. Warum sind wir Menschen verschieden? Warum schließen sich jungen Menschen den Neonazis an und schlagen auf Ausländer ein. Warum sitzen wir heute morgen hier und andere gehen im Wald spazieren oder liegen in den Betten? Warum gehen Menschen wie Mutter Theresa nach Indien und leben unter Sterbenden und ein anderer setzt sich mit 5 Millionen ins Steuerparadies ab? Warum gehen manche Menschen zitternd in den Tod und andere nehmen ihr Lebensende zuversichtlich an?

Der Mensch ist, was er isst. Die Nahrung der Mutter Theresa war offensichtlich anders als die des Steuerflüchtlings. Wenn Jesus sagt: ich bin das Brot, dann sagt er: Ich kann euch verändern. Ich kann euch zu ganz anderen Menschen machen. Das eucharistische Brot zu essen ist noch nicht genug. Diese Kommunion muss begleitet sein von einer anderen Aufnahme. Wir können die Heilige Schrift wie Nahrung aufnehmen. Auch ein Wortgottesdienst, auch ein evangelischer Gottesdienst geben uns das Brot, von dem Jesus spricht. Das Wort ist das Brot. Auch die Erfahrungen im Leben der Kirchengemeinde können wir wie Nahrung aufnehmen. Die Gemeinschaft ist das Brot. Bis wir durch und durch – nicht nur äußerlich – angefüllt sind von Christus. Über diese Aufnahme von geistlicher Nahrung muß sich jeder Christ Gedanken machen. Von alleine geht das nicht.

Mir wird das wieder klar, wenn ich die Fernsehbilder über die Neonaziaufmärsche in Deutschland sehe. Für mich sind diese Menschen auch Opfer. In ihnen sehen wir die Frucht der antireligiösen materialistischen Prägung über Jahrzehnte hinweg. In der DDR war das besonders intensiv, aber auch wir sind auf diesem Gleis einer unreligiösen Prägung. Die Früchte werden erst noch auswachsen. Haßerfüllte Menschen sind nicht böse Menschen. Schlechte Ernährung ist für mich die Erklärung. Ich denke an eine Erfahrung aus Guatemala zurück. Die Kinder in den Bergdörfern waren unterernährt. So schlimm, dass auch die schulischen Leistungen sehr schlecht waren. Aber es gab eigentlich zu essen. Das Problem war eine Fehlernährung. Eiweismangel beeinflusst die Entwicklung des Gehirns in den ersten drei Jahren. Bei jeder Taufe gaben wir den Eltern einen Zettel mit, auf dem aufgemalt war, was ein Säugling pro Woche essen sollte. Und der Priester predigte immer wieder, die Leute sollten ihre Eier nicht alle verkaufen, sondern auch den Kindern davon geben. Aus dieser Erfahrung ergibt sich für mich die Frage: nehme ich genug geistige Nahrung auf? Esse ich das Brot, das Jesus anbietet.

Zu dieser Frage spricht auch die Lesung heute: Ein Mensch der am Ende ist: Er hält es nicht mehr aus. „ Nun ist es genug, Herr. Nimm mein Leben. Der Engel rührte ihn an: Steh auf und iss, sonst ist der Weg zu weit für dich. Und Elia stand auf, er aß und trank und wanderte vierzig Tage und Nächte bis zum Gottesberg Horeb."

Essen wir das Brot des Lebens, das Jesus anbietet.

Pfr. Gerald Warmuth

Liebe Gemeinde!

Fronleichnam ist das Fest des Brotes. Das Brot ist ein uraltes Symbol. Das Brot ist ein Zeichen für Heimat und Freiheit. In der Geschichte Gottes mit den Menschen ist dieses Zeichen immer wieder an entscheidender Stelle zu finden.

In der Schriftlesung haben wir von Abram und Melchisedek gehört. Abraham wanderte mit seiner Familie und seinen Tieren als Hirte umher. Es ist ein hartes Leben, in der Abhängigkeit vom Wetter. Bleibt der Regen aus, ist das Weideland abgegrast, so geht die Nahrung aus. Die Hirten waren selten erwünscht, sie wurden gehetzt, keiner will sie haben. Vor allem bei uns in Leutenbach und in Winnenden gibt es viele, die das erlebt haben und gut verstehen, was es heißt fremd zu sein und als Gast herzlich aufgenommen zu werden.

Der König Melchisedek ließ den Hirten Abraham siedeln. Er schließt einen Bund mit ihm. Abraham darf siedeln gegen die Abgabe des Zehnten Teiles seiner Ernte. Der König Melchisedek bietet Abraham eine Heimat, diesem wandernden Aramäer. Der König von Salem bringt dem Stammvater Israels Brot und Wein heraus.

Brot und Wein sind ein Zeichen des Bundes, ein Zeichen für Heimat, bis heute. Wenn wir heute Eucharistie feiern, dann wird uns Heimat angeboten. Wir sind keine Nomaden, die mit ihren Herden durch die Steppe ziehen. Aber wir sind auch ruhelose Wanderer durch den Alltag dieses bewegten Jahrhunderts und durch die rasch wandelnde Gesellschaft. Im Gottesdienst jetzt wird uns das Brot gereicht, das Zeichen der Heimat, in die wir aufgenommen sind. Alle die an diesem Mahl teilnehmen, sind keine Fremde mehr. Sie schließen den neuen Bund. Egal ob deutsch oder Ausländer, ob katholisch oder evangelisch, das eucharistische Mahl löst diese Unterschiede auf. Wer mit am Tisch sitzt, hat eine Zuflucht, er gehört zu uns. Jeder hat ein Heimatrecht, dem dieses Brot gereicht wird.

Was kann unsere beiden Gemeinden mehr verbinden als dieses gemeinsame Mahl. Das Brot ist Zeichen der Heimat. Wenn wir dieses Mahl heute (im freien) Feiern, dann ist das fast eine Demonstration. Eine Demonstration für Gastfreundschaft. In dieser Demonstration zeigen wir nicht die kalte Schulter, sondern die warme Schulter. Die warme Schulter bieten wir an um die Last des Fremden mitzutragen. Wir alle sind ein Stück weit fremd in einer Welt, in der es viel Unmenschlichkeit und Ungerechtigkeit gibt. Wir werden gesegnet und eingeladen in die Heimat, die Gott uns bereitet. Wir sind beides. Kinder von Abraham, dem wandernden Aramäer. Wir kennen die Not als Fremde in einer fremden Welt. Und darum sind wir auch verpflichtet Kinder von Melchisedek zu sein. Weil wir empfangen haben, weil wir die Heimatlosigkeit kennen, geben wir auch anderen Anteil an unserem Leben.

In der spanischen Sprache nennt man einen Freund einen companero. Pan bedeutet Brot. Ein Companero ist einer, der mit mir am Tisch sitzt, einer, der mit mir das Brot isst, einer, der mit mir sein Brot teilt. Das Teilen ist die Konsequenz aus der Erfahrung der Heimatlosigkeit und aus der Erfahrung, dass wir mit Brot empfangen worden sind. Fronleichnam ist das Fest des Brotes und damit auch eine Demonstration des Teilens. Im Evangelium hören wir von einem Geschehen, das fast ein Wunder ist. Es ist ein Wunder, das auch heute immer wieder geschieht. Dort wo Menschen nicht versuchen die eigene Haut zu retten, dort wo Menschen alles hergeben um zusammenzulegen, geschieht dieses Wunder. Am Ende reicht es für alle. Wenn es einen Kuchen zu verteilen gibt und jeder versucht sich soviel wie möglich zu sichern, bleiben alle hungrig und gierig zurück. Wenn aber jeder überlegt, wie viel brauche ich wirklich und wie viel kann ich den anderen abgeben, auf wie viel kann ich verzichten, dann sind meist alle zufrieden und es bleibt sehr viel übrig, wie einst bei der Speisung der 5000.

Das Wunder des Teilens ist kein einmaliges Ereignis vor 2000 Jahren. Dieses Wunder geschieht bis heute immer wieder, und es ist ansteckend. Es breitet sich aus wie eine Infektion. Dieser Geist des Teilens ist aber keine ansteckende Krankheit. Es ist wie eine ansteckende Gesundheit. Das Wort Fronleichnam bedeutet Dienst am Leib des Herrn. Das ist nicht ganz leicht zu verstehen. Leib ist dabei nicht dasselbe wie Körper. Es geht nicht darum den Körper Jesu in Brot zu bannen und zu ergreifen. Etwas in der Hand zu haben, was uns Sicherheit gibt. Das griechische Wort für den fleischlichen Körper heißt „sarx“. Das Wort für den Leib eines Menschen ist aber „soma“. Der Leib eines Menschen ist mehr als sein Körper. Alles, was ein Mensch geschaffen und gewirkt hat, macht seinen Leib aus. Das Haus, das er gebaut hat, der Garten, den er gepflanzt hat, der Verein, den er gegründet hat, den Brief, den er geschrieben hat, der Mensch, den er mit seiner Liebe erzogen hat, all das macht seinen Leib aus. Der Leib Christi ist viel mehr, als sein Körper, der am Kreuz gehangen ist. Derr Leib Christi ist unfassbar und unbegreiflich.

Das göttliche Wesen können wir nicht verstehen und fassen. So gerne hätten wir Halt und Sicherheit. Aber das Brot, das wir in der Prozession tragen, gibt keine Sicherheit. Es gibt uns Hoffnung. Die Monstranz ist keine Waffe, mit der wir uns in dieser Welt wehren können. Das unfassbare Geheimnis Gottes können wir nur berühren. Wenn wir aber das Unfassbare berühren, strömt die Liebe Gottes in uns. Mit dieser Liebe treten wir der Welt mit ihren Herausforderungen gegenüber. Die Hände der Osterkerze, die Hände des Blumenteppichs sind tastende Hände. Sie wollen das Heilige berühren. Wer vom Leib Christi angerührt ist, der ist verwandelt und gestärkt. Wir Menschen suchen oft Sicherheit bei Gott. Wir würden ihn gerne als unseren Besitz betrachten. Das würde uns aber zu Marionetten machen. Gott will von uns geliebt werden und deswegen müssen wir frei sein. Nur freie Menschen sind wirklich liebesfähig. Liebende halten sich nicht fest, sondern berühren sich. Als Companeros, als Freunde feiern wir diesen Gottesdienst, diesen Tag und dieses Fest. Gehen wir dabei auch auf die zu, die wir noch nicht kennen, damit zusammenkommt, was zusammen gehört. Warum sollte uns nicht gelingen, was Abraham und Melchisedek vor 3000 Jahren gelang.

Pfr. Gerald Warmuth

Liebe Gemeinde!

„Jesus, Meister, erbarme dich unser“, riefen die Aussätzigen dem Jesus zu. Not lehrt beten, sagt ein Sprichwort. Die zehn Aussätzigen waren wirklich in Not. Damals litten sie nicht nur unter Hautbeschwerden. Wer damals aussätzig war, musste heraus aus dem Ort, aus der Familie, er wurde isoliert, er war praktisch zum Sterben verurteilt. Alles, einfach alles hatten diese Menschen verloren. In ihrer Verzweiflung schrieen sie zu Jesus.

Sie hatten nur einen Wunsch: Alles sollte wieder normal werden. Darum sprachen sie Jesus an. Das Sprichwort: "Not lehrt beten" stimmt auch heute noch. Auch heute noch füllen sich die Kirchen in Zeiten der Not und der Katastrophen. Heute noch wenden sich viele Menschen dem Gespräch mit Gott zu, wenn sie ein persönlicher Schicksalsschlag getroffen hat.

Schauen wir genauer hin, dann wird deutlich, dass es nicht ganz stimmt. Not lehrt bitten.

Beten aber ist mehr als ein verzweifeltes Bitten. 10 Aussätzige hat Jesus geheilt. Zehn hat er wieder ins normale Leben zurückgeführt. Nur einem von ihnen war das nicht genug. Nur einer hat sich mit der Normalität nicht zufrieden gegeben. Nur einer hat aus der Not gelernt. Nur einer wollte mehr. 10%, ein Verhältnis, das vielleicht auch heute noch stimmt. Mir scheint auch heute noch ist es nur einer von 10, der nicht mit dem Normalen zufrieden ist, der mehr sucht, der nach dem Sinn von allem fragt und selbst Zugang zur Quelle des Lebens will.

Ein Aussätziger ist zurückgekommen, weil ihm klar wurde, wer diese Not lindern kann, der kann auch noch mehr. Die Dankbarkeit des einen Aussätzigen ist mehr als nur eine Verpflichtung. Dankbarkeit ist immer auch eine Richtung, eine Ausrichtung, ein Ziel, das ich mir setze. Die Krankheit, die Not hat für einen der zehn Aussätzigen etwas Gutes gehabt. Er hat erkannt, dass es einen besseren Weg gibt.Neun andere gehen weiter auf dem alten Weg, im alten Trott. Die biblische Erzählung erklärt so vieles, was wir heute auch beobachten.

Viele Menschen geraten in Not. Viele kommen gerade noch einmal davon, bei einer tödlichen Krankheit, bei einem Autounfall oder anderem. Die Meisten geraten zur Normalität zurück, ein Alptraum, der vorbei ist. Aber jeder Alptraum hat einen Anlass und eine Bedeutung. Jede Not ist auch eine Chance und ein Zeichen. Manche können sie verstehen und ergreifen. Sie deuten ihr Leben von Gott her und entdecken eine Welt, die zwischen den Zeilen lebt, eine Welt hinter den oberflächlichen Dingen.

Diese Entdeckung geht selten ohne Krise. Als Kind lernen wir von unseren Eltern Gott mit einem Vater zu vergleichen. Wenn wir brav sind, dann tut er uns Gutes, er der allmächtige Gott. Dieses Bild ist notwendig in der religiösen Erziehung von Kindern, weil sie noch kein komplizierteres Bild verstehen können. Bleibt dieses Gottesbild aber im Erwachsenenalter stehen und reift es nicht weiter, dann werden wir daran irre. Es stimmt einfach nicht, dass es die guten gut haben und die Schlechten schlecht. Gott ist nicht der Lenker aller Dinge dieser Welt, der alles gerecht ordnet. Immer wieder fragen wir uns: wie kann Gott das zulassen. Hat Gott es zugelassen, dass so viel unschuldige Opfer starben, beim Taifun in der Karibik, bei Bombenanschlägen im Irak, beim Krieg in Syrien in Halle und an so vielen Orten in der Welt. Hat Gott es zugelassen oder in Kauf genommen, dass Jesus hier am Kreuz stirbt.

Viele Erwachsene haben noch das Gottesbild eines Kindes, sie haben es gehegt und gepflegt, aber nicht wachsen lassen. Wenn ich brav bin, dann hilft mir Gott. Dieser Glaube greift zu kurz, er muss wachsen. Wächst er nicht, dann wird Gott in meinen Augen zum Täter in einer Welt voller Gewalttaten. Ich wende mich von Gott ab oder opfere meinen Verstand dem Gehorsam.

Gott aber ist anders. Ich brauche ein gereiftes Gottesbild, das mit meinen Erfahrungen wächst. Glaubenskrisen sind sehr förderlich für dieses Wachstum. Dadurch lerne ich, dass Gott bedingungslos auf der Seite der Opfer steht. Er ist der, der in Jesus Christus selbst als Opfer am Kreuz hing. Er hat sich erniedrigt, er hat die Kreuzigung nicht verhindert. Seither müssen wir ihn immer bei den Opfern suchen und nicht bei den Tätern. Dort bei den Opfern werden wir Gott finden. Und wir werden mehr finden, als wir eigentlich gesucht haben. Der Nothelfer kann noch mehr als unsere Not lindern, er kann noch mehr als nur den Aussatz heilen. Er zeigt uns die Quelle von allem.

Dankbarkeit ist ein sichtbares Zeichen dafür, dass wir diese Quelle gefunden haben. Dankbarkeit ist zunächst nur ein Wort. Jeder von uns stellt sich dabei etwas anderes vor. Aber es gibt eine Ergriffenheit, die unser ganzes Leben zum Guten verändert. Wer so von tiefer Dankbarkeit erfüllt ist, der fragt gar nicht erst nach dem Sinn des Lebens. Er freut sich einfach über alles. Er quillt über von Liebe, die er verschenken will. Alles an seinem Leben ist Freude. Diese Dankbarkeit ist wie eine Kunstfertigkeit. Sie ist wie das Klavierspielen. Immer wieder muss es geübt werden, sonst verliert sich die Meisterschaft. Die Kunst der Dankbarkeit muss geübt und gepflegt werden. Das geschieht im Beten und im Gottesdienst. Dankbarkeit macht aus unserer Bitte ein Gebet.

Not lehrt nicht automatisch beten. Not allein zeigt uns nicht den Weg zum Heil. Aber wer wirklich beten will, wer Gemeinschaft und Geborgenheit in Gottes Welt sucht, der kommt um die Not und das Leid kaum herum. Das ist uns Christen verheißen. In jeder Not, sei sie auch noch so groß, liegt auch eine Chance, die es ohne das Leid nicht gäbe. Die Botschaft von Christus ist ein Skandal, damals wie heute. Aber einer von zehn veränderte sein Leben. Zu ihm sagte Jesus: Steh auf, wandere weiter, dein Glaube hat dich gerettet. (Amen.)

Pfr. Gerald Warmuth