Liebe Gemeinde!

„Jesus, Meister, erbarme dich unser“, riefen die Aussätzigen dem Jesus zu. Not lehrt beten, sagt ein Sprichwort. Die zehn Aussätzigen waren wirklich in Not. Damals litten sie nicht nur unter Hautbeschwerden. Wer damals aussätzig war, musste heraus aus dem Ort, aus der Familie, er wurde isoliert, er war praktisch zum Sterben verurteilt. Alles, einfach alles hatten diese Menschen verloren. In ihrer Verzweiflung schrieen sie zu Jesus.

Sie hatten nur einen Wunsch: Alles sollte wieder normal werden. Darum sprachen sie Jesus an. Das Sprichwort: "Not lehrt beten" stimmt auch heute noch. Auch heute noch füllen sich die Kirchen in Zeiten der Not und der Katastrophen. Heute noch wenden sich viele Menschen dem Gespräch mit Gott zu, wenn sie ein persönlicher Schicksalsschlag getroffen hat.

Schauen wir genauer hin, dann wird deutlich, dass es nicht ganz stimmt. Not lehrt bitten.

Beten aber ist mehr als ein verzweifeltes Bitten. 10 Aussätzige hat Jesus geheilt. Zehn hat er wieder ins normale Leben zurückgeführt. Nur einem von ihnen war das nicht genug. Nur einer hat sich mit der Normalität nicht zufrieden gegeben. Nur einer hat aus der Not gelernt. Nur einer wollte mehr. 10%, ein Verhältnis, das vielleicht auch heute noch stimmt. Mir scheint auch heute noch ist es nur einer von 10, der nicht mit dem Normalen zufrieden ist, der mehr sucht, der nach dem Sinn von allem fragt und selbst Zugang zur Quelle des Lebens will.

Ein Aussätziger ist zurückgekommen, weil ihm klar wurde, wer diese Not lindern kann, der kann auch noch mehr. Die Dankbarkeit des einen Aussätzigen ist mehr als nur eine Verpflichtung. Dankbarkeit ist immer auch eine Richtung, eine Ausrichtung, ein Ziel, das ich mir setze. Die Krankheit, die Not hat für einen der zehn Aussätzigen etwas Gutes gehabt. Er hat erkannt, dass es einen besseren Weg gibt.Neun andere gehen weiter auf dem alten Weg, im alten Trott. Die biblische Erzählung erklärt so vieles, was wir heute auch beobachten.

Viele Menschen geraten in Not. Viele kommen gerade noch einmal davon, bei einer tödlichen Krankheit, bei einem Autounfall oder anderem. Die Meisten geraten zur Normalität zurück, ein Alptraum, der vorbei ist. Aber jeder Alptraum hat einen Anlass und eine Bedeutung. Jede Not ist auch eine Chance und ein Zeichen. Manche können sie verstehen und ergreifen. Sie deuten ihr Leben von Gott her und entdecken eine Welt, die zwischen den Zeilen lebt, eine Welt hinter den oberflächlichen Dingen.

Diese Entdeckung geht selten ohne Krise. Als Kind lernen wir von unseren Eltern Gott mit einem Vater zu vergleichen. Wenn wir brav sind, dann tut er uns Gutes, er der allmächtige Gott. Dieses Bild ist notwendig in der religiösen Erziehung von Kindern, weil sie noch kein komplizierteres Bild verstehen können. Bleibt dieses Gottesbild aber im Erwachsenenalter stehen und reift es nicht weiter, dann werden wir daran irre. Es stimmt einfach nicht, dass es die guten gut haben und die Schlechten schlecht. Gott ist nicht der Lenker aller Dinge dieser Welt, der alles gerecht ordnet. Immer wieder fragen wir uns: wie kann Gott das zulassen. Hat Gott es zugelassen, dass so viel unschuldige Opfer starben, beim Taifun in der Karibik, bei Bombenanschlägen im Irak, beim Krieg in Syrien in Halle und an so vielen Orten in der Welt. Hat Gott es zugelassen oder in Kauf genommen, dass Jesus hier am Kreuz stirbt.

Viele Erwachsene haben noch das Gottesbild eines Kindes, sie haben es gehegt und gepflegt, aber nicht wachsen lassen. Wenn ich brav bin, dann hilft mir Gott. Dieser Glaube greift zu kurz, er muss wachsen. Wächst er nicht, dann wird Gott in meinen Augen zum Täter in einer Welt voller Gewalttaten. Ich wende mich von Gott ab oder opfere meinen Verstand dem Gehorsam.

Gott aber ist anders. Ich brauche ein gereiftes Gottesbild, das mit meinen Erfahrungen wächst. Glaubenskrisen sind sehr förderlich für dieses Wachstum. Dadurch lerne ich, dass Gott bedingungslos auf der Seite der Opfer steht. Er ist der, der in Jesus Christus selbst als Opfer am Kreuz hing. Er hat sich erniedrigt, er hat die Kreuzigung nicht verhindert. Seither müssen wir ihn immer bei den Opfern suchen und nicht bei den Tätern. Dort bei den Opfern werden wir Gott finden. Und wir werden mehr finden, als wir eigentlich gesucht haben. Der Nothelfer kann noch mehr als unsere Not lindern, er kann noch mehr als nur den Aussatz heilen. Er zeigt uns die Quelle von allem.

Dankbarkeit ist ein sichtbares Zeichen dafür, dass wir diese Quelle gefunden haben. Dankbarkeit ist zunächst nur ein Wort. Jeder von uns stellt sich dabei etwas anderes vor. Aber es gibt eine Ergriffenheit, die unser ganzes Leben zum Guten verändert. Wer so von tiefer Dankbarkeit erfüllt ist, der fragt gar nicht erst nach dem Sinn des Lebens. Er freut sich einfach über alles. Er quillt über von Liebe, die er verschenken will. Alles an seinem Leben ist Freude. Diese Dankbarkeit ist wie eine Kunstfertigkeit. Sie ist wie das Klavierspielen. Immer wieder muss es geübt werden, sonst verliert sich die Meisterschaft. Die Kunst der Dankbarkeit muss geübt und gepflegt werden. Das geschieht im Beten und im Gottesdienst. Dankbarkeit macht aus unserer Bitte ein Gebet.

Not lehrt nicht automatisch beten. Not allein zeigt uns nicht den Weg zum Heil. Aber wer wirklich beten will, wer Gemeinschaft und Geborgenheit in Gottes Welt sucht, der kommt um die Not und das Leid kaum herum. Das ist uns Christen verheißen. In jeder Not, sei sie auch noch so groß, liegt auch eine Chance, die es ohne das Leid nicht gäbe. Die Botschaft von Christus ist ein Skandal, damals wie heute. Aber einer von zehn veränderte sein Leben. Zu ihm sagte Jesus: Steh auf, wandere weiter, dein Glaube hat dich gerettet. (Amen.)

Pfr. Gerald Warmuth

Liebe Gemeinde!

Fronleichnam ist das Fest des Brotes. Das Brot ist ein uraltes Symbol. Das Brot ist ein Zeichen für Heimat und Freiheit. In der Geschichte Gottes mit den Menschen ist dieses Zeichen immer wieder an entscheidender Stelle zu finden.

In der Schriftlesung haben wir von Abram und Melchisedek gehört. Abraham wanderte mit seiner Familie und seinen Tieren als Hirte umher. Es ist ein hartes Leben, in der Abhängigkeit vom Wetter. Bleibt der Regen aus, ist das Weideland abgegrast, so geht die Nahrung aus. Die Hirten waren selten erwünscht, sie wurden gehetzt, keiner will sie haben. Vor allem bei uns in Leutenbach und in Winnenden gibt es viele, die das erlebt haben und gut verstehen, was es heißt fremd zu sein und als Gast herzlich aufgenommen zu werden.

Der König Melchisedek ließ den Hirten Abraham siedeln. Er schließt einen Bund mit ihm. Abraham darf siedeln gegen die Abgabe des Zehnten Teiles seiner Ernte. Der König Melchisedek bietet Abraham eine Heimat, diesem wandernden Aramäer. Der König von Salem bringt dem Stammvater Israels Brot und Wein heraus.

Brot und Wein sind ein Zeichen des Bundes, ein Zeichen für Heimat, bis heute. Wenn wir heute Eucharistie feiern, dann wird uns Heimat angeboten. Wir sind keine Nomaden, die mit ihren Herden durch die Steppe ziehen. Aber wir sind auch ruhelose Wanderer durch den Alltag dieses bewegten Jahrhunderts und durch die rasch wandelnde Gesellschaft. Im Gottesdienst jetzt wird uns das Brot gereicht, das Zeichen der Heimat, in die wir aufgenommen sind. Alle die an diesem Mahl teilnehmen, sind keine Fremde mehr. Sie schließen den neuen Bund. Egal ob deutsch oder Ausländer, ob katholisch oder evangelisch, das eucharistische Mahl löst diese Unterschiede auf. Wer mit am Tisch sitzt, hat eine Zuflucht, er gehört zu uns. Jeder hat ein Heimatrecht, dem dieses Brot gereicht wird.

Was kann unsere beiden Gemeinden mehr verbinden als dieses gemeinsame Mahl. Das Brot ist Zeichen der Heimat. Wenn wir dieses Mahl heute (im freien) Feiern, dann ist das fast eine Demonstration. Eine Demonstration für Gastfreundschaft. In dieser Demonstration zeigen wir nicht die kalte Schulter, sondern die warme Schulter. Die warme Schulter bieten wir an um die Last des Fremden mitzutragen. Wir alle sind ein Stück weit fremd in einer Welt, in der es viel Unmenschlichkeit und Ungerechtigkeit gibt. Wir werden gesegnet und eingeladen in die Heimat, die Gott uns bereitet. Wir sind beides. Kinder von Abraham, dem wandernden Aramäer. Wir kennen die Not als Fremde in einer fremden Welt. Und darum sind wir auch verpflichtet Kinder von Melchisedek zu sein. Weil wir empfangen haben, weil wir die Heimatlosigkeit kennen, geben wir auch anderen Anteil an unserem Leben.

In der spanischen Sprache nennt man einen Freund einen companero. Pan bedeutet Brot. Ein Companero ist einer, der mit mir am Tisch sitzt, einer, der mit mir das Brot isst, einer, der mit mir sein Brot teilt. Das Teilen ist die Konsequenz aus der Erfahrung der Heimatlosigkeit und aus der Erfahrung, dass wir mit Brot empfangen worden sind. Fronleichnam ist das Fest des Brotes und damit auch eine Demonstration des Teilens. Im Evangelium hören wir von einem Geschehen, das fast ein Wunder ist. Es ist ein Wunder, das auch heute immer wieder geschieht. Dort wo Menschen nicht versuchen die eigene Haut zu retten, dort wo Menschen alles hergeben um zusammenzulegen, geschieht dieses Wunder. Am Ende reicht es für alle. Wenn es einen Kuchen zu verteilen gibt und jeder versucht sich soviel wie möglich zu sichern, bleiben alle hungrig und gierig zurück. Wenn aber jeder überlegt, wie viel brauche ich wirklich und wie viel kann ich den anderen abgeben, auf wie viel kann ich verzichten, dann sind meist alle zufrieden und es bleibt sehr viel übrig, wie einst bei der Speisung der 5000.

Das Wunder des Teilens ist kein einmaliges Ereignis vor 2000 Jahren. Dieses Wunder geschieht bis heute immer wieder, und es ist ansteckend. Es breitet sich aus wie eine Infektion. Dieser Geist des Teilens ist aber keine ansteckende Krankheit. Es ist wie eine ansteckende Gesundheit. Das Wort Fronleichnam bedeutet Dienst am Leib des Herrn. Das ist nicht ganz leicht zu verstehen. Leib ist dabei nicht dasselbe wie Körper. Es geht nicht darum den Körper Jesu in Brot zu bannen und zu ergreifen. Etwas in der Hand zu haben, was uns Sicherheit gibt. Das griechische Wort für den fleischlichen Körper heißt „sarx“. Das Wort für den Leib eines Menschen ist aber „soma“. Der Leib eines Menschen ist mehr als sein Körper. Alles, was ein Mensch geschaffen und gewirkt hat, macht seinen Leib aus. Das Haus, das er gebaut hat, der Garten, den er gepflanzt hat, der Verein, den er gegründet hat, den Brief, den er geschrieben hat, der Mensch, den er mit seiner Liebe erzogen hat, all das macht seinen Leib aus. Der Leib Christi ist viel mehr, als sein Körper, der am Kreuz gehangen ist. Derr Leib Christi ist unfassbar und unbegreiflich.

Das göttliche Wesen können wir nicht verstehen und fassen. So gerne hätten wir Halt und Sicherheit. Aber das Brot, das wir in der Prozession tragen, gibt keine Sicherheit. Es gibt uns Hoffnung. Die Monstranz ist keine Waffe, mit der wir uns in dieser Welt wehren können. Das unfassbare Geheimnis Gottes können wir nur berühren. Wenn wir aber das Unfassbare berühren, strömt die Liebe Gottes in uns. Mit dieser Liebe treten wir der Welt mit ihren Herausforderungen gegenüber. Die Hände der Osterkerze, die Hände des Blumenteppichs sind tastende Hände. Sie wollen das Heilige berühren. Wer vom Leib Christi angerührt ist, der ist verwandelt und gestärkt. Wir Menschen suchen oft Sicherheit bei Gott. Wir würden ihn gerne als unseren Besitz betrachten. Das würde uns aber zu Marionetten machen. Gott will von uns geliebt werden und deswegen müssen wir frei sein. Nur freie Menschen sind wirklich liebesfähig. Liebende halten sich nicht fest, sondern berühren sich. Als Companeros, als Freunde feiern wir diesen Gottesdienst, diesen Tag und dieses Fest. Gehen wir dabei auch auf die zu, die wir noch nicht kennen, damit zusammenkommt, was zusammen gehört. Warum sollte uns nicht gelingen, was Abraham und Melchisedek vor 3000 Jahren gelang.

Pfr. Gerald Warmuth