Gemeindezentren
Lukas 1,26-38
Im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott in eine Stadt in Galiläa namens Nazaret zu einer Jungfrau gesandt. Sie war mit einem Mann namens Josef verlobt, der aus dem Haus David stammte. Der Name der Jungfrau war Maria.
28 Der Engel trat bei ihr ein und sagte: Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir.
29 Sie erschrak über die Anrede und überlegte, was dieser Gruß zu bedeuten habe.
30 Da sagte der Engel zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria; denn du hast bei Gott Gnade gefunden.
31 Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn wirst du gebären; dem sollst du den Namen Jesus geben.
32 Er wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden. Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben.
33 Er wird über das Haus Jakob in Ewigkeit herrschen und seine Herrschaft wird kein Ende haben.
34 Maria sagte zu dem Engel: Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?
35 Der Engel antwortete ihr: Heiliger Geist wird über dich kommen und Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden.
36 Siehe, auch Elisabet, deine Verwandte, hat noch in ihrem Alter einen Sohn empfangen; obwohl sie als unfruchtbar gilt, ist sie schon im sechsten Monat.
37 Denn für Gott ist nichts unmöglich.
38 Da sagte Maria: Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast. Danach verließ sie der Engel.
„Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir“
Liebe Schwestern und Brüder aus unserer Seelsorgeeinheit – wie geht es ihnen, wenn dieser Gruß heute an Sie gerichtet wird? „Schwätz net so gschwolla drher!“ wäre wahrscheinlich spontan die erste Antwort, zumindest von schwäbischer Seite her. „Sei gegrüßt du Begnadete, du Begnadeter, der Herr ist mit dir!“ Vielleicht will derjenige, der mich so anspricht, ja was von mir? Erst Honig ums Maul schmieren – und dann was wollen – das kennen wir doch!
Genau so ging es dann ja auch in der Verkündigungsgeschichte weiter, die wir heute zu unserem Patrozinium gehört haben. Erst platzt da so ein Engel völlig überraschend herein – Heimsuchung im wahrsten Sinne des Wortes, dann diese hochwürdige Anrede, und – wie geahnt, dann will er auch noch tatsächlich was.
Dass Maria damals zunächst erschrocken ist, das ist ja verständlich. Mitten in ihrem Zuhause, mitten im Alltäglichen wird ihr das Wort Gottes verkündet – drei Ankündigungen macht ihr der Engel – Sie wird ein Kind empfangen – sie wird einen Sohn gebären – sie wird ihm den Namen Jesus geben. Dann weist der Engel noch auf die besondere Bedeutung, das Wesen und die Aufgabe des Kindes hin.
Maria ist verwirrt und fragt nach: Wie soll das geschehen? Der Engel Gabriel - auch dieser Name ist bedeutungsschwer: er - bedeutet: „Gott macht sich stark für sein Volk“ dieser Engel macht seinem Namen alle Ehre und spricht Maria Mut zu: „Fürchte Dich nicht“! Denn wo Gott ins Spiel kommt, da wird unsere Angst vertrieben, bei ihm ist nichts unmöglich. Wo Gott ins Spiel kommt, da geschieht so Großes! Vieles davon können wir bis heute mit unseren begrenzten Möglichkeiten immer noch nicht und vielleicht auch nie ganz fassen. Und so klärt auch Lukas das große Geheimnis der Begegnung zwischen Gott und Maria nicht auf – sondern er staunt über das Geschehen zwischen Gott und Mensch.
Lukas greift auf bekannte Bilder aus der biblischen Tradition zurück: Gottes Anwesenheit wird da oft mit dem Motiv des Schattens beschrieben. Der Schatten fällt auf Maria: Die Kraft des Höchsten stellt Maria aber nicht in den Schatten, sondern schafft neues Leben in ihr. Die Kraft des Heiligen Geistes und die Kraft des Wortes Gottes bewirken neues Leben, Veränderung, Verwandlung und Neubeginn. „Denn für Gott ist nichts unmöglich“ müsste eigentlich wörtlich übersetzt so lauten: „Kein Wort von Gott ist ohne Kraft“ – der Engel erinnert Maria an die Schöpfungsgeschichte: wo es ja immer wieder heißt und Gott sprach – und es wurde. (z.Bsp: Licht…) Gottes Wort bewirkt was es sagt! Mit ihrem „Ja, mir geschehe wie du es gesagt hast“ willigt Maria darin ein, dass Gottes Wort in ihr und an ihr wirksam wird. Maria gibt ihr Ja-Wort aus ihrem Zutrauen in das Geheimnis, das ihr durch die Liebe Gottes entgegenkommt – Der Herr ist mit dir – für Maria hat diese Zusage vollkommen gereicht um darin einzustimmen, Mutter des Messias zu werden. Diesem wird sie dann auch den Namen Jesus geben: der bedeutet: „Gott hilft“ oder auch: „Gott erlöst“. So wird in der Erwählung Mariens der ganze Heilsplan Gottes sichtbar.
Lukas beginnt sein Evangelium mit Erzählungen, in denen „kleine“ Menschen große Aufmerksamkeit erfahren, indem Gott an ihnen handelt. Nach Lukas hält Gott immer wieder solche Überraschungen bereit. und seine Heimsuchungen treffen völlig unerwartet ein. Unberechenbar ist dieser Gott, der die Kleinen groß und die Großen klein macht. Kraftvoll ist jedes Wort dieses Gottes. Wer es aufnimmt, annimmt und es an sich wirken lässt, an dem geschieht Großes, zum Heil von vielen Menschen.
So ist Maria auch heute das Vorbild für uns und für unsere Kirche. Ihr Mut ist bewundernswert, ihr Vertrauen ist nachahmenswert, beides bewirkt Wunder. Maria hört aktiv zu und sie empfängt, weil sie sich dem großen Geheimnis des Wortes Gottes öffnet.
Sich von Gottes kraftvollem Wort treffen lassen? Mit Gottes Überraschungen rechnen? Das fällt nicht immer leicht, vor allem dann, wenn Gott mit uns ganz andere Wege gehen will, wenn sein Wille so gar nicht in unsere Lebenspläne reinpasst, wenn sein Willen meinen Wünschen so sehr entgegen steht, dass ich schier verzweifle an der Frage – warum gerade mich das treffen muss!
Ein Blick auf Maria kann da Trost und Stärkung sein. Maria hat gegen alle Wahrscheinlichkeit geglaubt und sich ganz in die Hände Gottes begeben. Sie ist den Weg des „Ja“ ganz gegangen, hat durchgehalten bis zum Schluss! Auch in den Situationen, in denen sie ihren Sohn nicht verstanden hat oder er sich scheinbar von ihr distanzierte. Am Ende ging sie mit ihm bis unter das Kreuz.
Treue und Standhaftigkeit, diese Eigenschaften sind auch für uns wichtig, wenn wir uns auf Gott einlassen. Freilich war Maria besonders begnadet, aber auch wir sind von Gott ja begabt – eine jede und ein jeder zwar anders, aber eben auf ganz besondere Weise. Auch wenn Maria in der Kirchengeschichte immer wieder auf höhere Ebenen gehoben und mit besonderen Eigenschaften überhäuft wurde, kann sie für uns Mut und Ansporn sein. Maria will auch uns ermutigen, unsere eigene Berufung anzunehmen und zu leben.
Gott hat ja auch mit uns einen Plan! Kennen wir diesen Plan? Wollen wir ihn überhaupt wissen, oder sind wir so sehr in unsere eigenen Wünsche und Pläne hinein verstrickt, dass da überhaupt kein Platz mehr für Gottes Überraschungen ist? In den Texten der Hl. Schrift wird immer wieder deutlich, wie offen und bereit Maria für Gott war. Nicht als jungfräuliche und süße Göttin, sondern als Mensch. So ist Maria durch ihre Bereitschaft zur Hingabe an Gott zum Urbild der Kirche geworden.
Und das muss ja dann wohl auch Auswirkungen auf unser Verständnis von Kirche haben: Hierfür möchte ich heute am Patrozinium unserer Kirche und am Sonntag, wo unsere Seelsorgeeinheit zusammen Gottesdienst feiert, ein paar Punkte zum Nachdenken mit auf den Weg geben, denn die Zukunft unserer Kirche geht ja uns alle an!
Wenn wir unsere Kirche von Maria her sehen, dann müsste unsere Kirche vor allem zuhören, vertrauen, glauben und lieben können, wie es Maria getan hat. Sie müsste stärker vom Geist Gottes her leben. Eine Kirche, die Maria als Vorbild verehrt, darf ihre Seelsorge und ihren Pastoralplan nicht vorrangig am Erfolg ausrichten, sondern am Wesen des Evangeliums. Jesus ist ja zu allen Menschen gekommen, er hat zu Männern und Frauen gesprochen und ihnen zugetraut, am Reich Gottes mit zu bauen. Jede und jeden hat er berufen in seine Fußstapfen zu treten, den Menschen die frohe Botschaft zu verkünden, zu heilen und für Frieden und Gerechtigkeit einzutreten. Papst Franziskus hat darauf ganz deutlich hingewiesen, als er bedauerte, dass die „Kirche“ jahrhundertlang eher einem Gerichtssaal geglichen habe und doch eher einem Feldlazarett gleichen solle, wo Menschen mit all ihren Brüchen und Verwundungen Heilung finden.
Eine Kirche, die Maria nicht nur als himmlische und süße Jungfrau verehrt, sondern sie als Vorbild nimmt, müsste mehr Vertrauen in die Zukunft und in die Wirkungen des heiligen Geistes haben, als weiterhin im Ist-Zustand zu versteinern. Bei Gott ist nichts unmöglich! Ich glaube, dass es heute nicht reicht, nur die Fenster zu öffnen, auch die Türen müssen geöffnet werden, damit auch sogenannte „Laien“ Zugang zu den Synoden, Konzilien und Ämtern unserer Kirche bekommen.
In dem Moment, als der Engel bei Maria eintritt, wird sie auf vielen Bildern als Betende dargestellt. Seit letzten Sonntag haben die deutschen Bischöfe den „synodalen Weg“ begonnen. Übersetzt heißt das „gemeinsamer Weg“! Wichtige Themen und Fragen unserer Zeit sollen besprochen werden. Auch Laien sind dazu eingeladen, jede und jeder kann sich sogar übers Internet an den Diskussionen und Abstimmungen beteiligen. Für mich ist das ein lange überfälliger Schritt, der ja schon im zweiten Vatikanischen Konzil angestoßen wurde.
Ich lade Sie herzlich ein, für ein gutes Gelingen dieses „gemeinsamen Weges“ zu beten. Wenn Sie wollen können sie nachher hinten auch eine Karte an unseren Bischof schreiben. Vielleicht schreiben Sie den gleichen Satz drauf, mit dem auch der Engel Gabriel Maria Mut gemacht hat: Fürchte Dich nicht! Das Leben Mariens ist der Beweis, dass Gott seine Welt nicht allein lässt, sondern immer neue Wege findet, zur Welt zu kommen. Allerdings braucht er auch heute Menschen, die sich von ihm ansprechen lassen und die auch bereit sind an seinem Reich mitzubauen. –
Seid begrüßt - ihr Begnadeten! -
AMEN
(Maria Lerke)
Liebe Gemeinde,
„Gott besucht uns öfter, aber meistens sind wir nicht zu Haus“. Über dieses afrikanische Sprichwort durfte ich in letzter Zeit immer wieder mal staunen. Irgendwann sah ich dann plötzlich eine meiner alten Schulklassen vor mir, die Kleinen, und der vorwitzige Dreikäsehoch in der ersten Bank ruft dazwischen: „Der hätte ja auch vorher mal anrufen können!“
Irgendwo hat das Kind ja recht, und wenn wir die Evangelientexte der Adventssonntage anschauen, dann finden wir dort sogar jede Menge Anrufe, Weckrufe. „Seid wachsam“, heißt es heute zum Beispiel. Das kann zunächst einmal irritieren; die meisten von uns, wenn sie in die Kirche gehen, erwarten dort nicht Beunruhigung und alarmierende Töne, sondern einen Ort und einen Moment, der sie zur Ruhe kommen lässt. Auch von einem schön intonierten „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ lassen wir uns nicht beunruhigen. Wenn wir die Kirchentür hinter uns schließen, wollen wir uns freuen, dass wir dem Trubel wenigstens für eine kleine Zeit entronnen sind und in Ruhe gelassen werden.
Stattdessen hören wir bei Matthäus, wie Jesus von Katastrophen apokalyptischen Ausmaßes redet, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen. Die Sonne wird finster, der Mond verliert sein Licht, Sterne fallen vom Himmel. Das ist echt heftig. Greta Thunbergs Klimaszenarien: die Polkappen schmelzen, die Meeresspiegel steigen um zwei Meter in den nächsten hundert Jahren, Europa von Dürre bedroht – das wirkt dagegen wie Kinderkram. Ein gewisses Unwohlsein verspüre ich auch, wenn ich an die Auslegungsgeschichte dieses Textes denke. Evangelium heißt ‚Frohe Botschaft’ oder etwas nüchterner immerhin noch ‚Gute Nachricht’. Aus Jesu Reden vom Weltgericht hat man aber leider allzuoft eine Drohbotschaft gemacht.“Seid wachsam“ wurde verkürzt auf „Fürchtet euch“. Ich habe selber gruselige Erinnerungen: ich saß noch vorne in der Kinderbank, wie der Herr Pfarrer dieses „Ihr wisst weder den Tag noch die Stunde“ als ein Donnerwort von der Kanzel herabschleuderte. Das war noch beängstigender als das „Der liebe Gott sieht alles!“, denn auch als Kind wusste man vom Sensenmann, der uns unversehens überraschen kann. Dies irae „Ach, was werd ich Armer sagen ...“
Sie sehen, es gibt da einiges aufzuräumen und ins rechte Licht zu stellen. Lassen Sie es uns versuchen, anstatt uns von diesem verstörenden Evangelium abzuwenden und die viel freundlicheren Lesungen von Jesaja oder Paulus vorzuziehen. Ich muss ein wenig ausholen.
Als Matthäus sein Evangelium niederschreibt, etwa zwei Generationen nach dem Tod Jesu, ist auch der Tempel in Jerusalem bis auf die Grundmauern zerstört. Für die Gemeinde des Matthäus war das schwer zu fassen; man litt darunter, dass Jesus noch nicht erschienen war, um den Tempel wieder aufzubauen. Stattdessen war die Zerstreuung des jüdischen Volkes weitergegangen. Viele fragten sich nun: Ist das unser tragisches Schicksal? Oder gibt es noch Hoffnung auf den Messias? Matthäus sammelt und überliefert deshalb Worte Jesu über das Reich Gottes, die er zu einer Botschaft verdichtet: Gebt nicht auf! Wartet auf das Kommen Jesu! Wir wissen nicht, wann es sein wird, aber es ist richtig, darauf zu warten und dafür zu beten. Zum Beispiel im Vaterunser, wo die Bitte ‚Dein Reich komme’ einen vorderen Rang einnimmt. So beten wir heute noch und hoffen, dass die Erde nicht von menschen- gemachtem Chaos zerstört wird. Im Denken der damaligen Zeit hatten sich zahllose Erfahrungen ungeheuren Leids, von Unterdrückung und Ohnmacht niedergeschlagen. Eine gerechte Welt war dann nur mit einem radikalen Neuanfang möglich. Am besten wäre es, so dachte man sich, Gott macht dieser ganzen Welt ein Ende und erschafft noch einmal eine neue. Apokalypse nannte man das, wenn Gott offen zeigt, was er vernichten und neu hervorbringen kann.
Wir können es vielleicht vergleichen mit einem alten Haus, wo es durchs Dach regnet, die Decken sich lösen, es durchs Fenster zieht, der Putz bröckelt, die Wasserleitung leckt, die Balken kaputt sind; da wird man nicht die Fassade richten oder neu tapezieren. Das alte Haus reißt man besser ab und baut ein neues. Und freut sich drauf. Natürlich ist es etwas Schreckliches, wenn eine Welt zusammenstürzt, oder nur wenn ein Haus zerstört wird ( das nur in Klammer: deshalb sprechen die Architekten beschönigend von „Rückbau“; die Zeitung aber schreibt „Abriss“ und zielt damit auf die hässliche Seite, weil die meist etwas zuverlässig Faszinierendes hat. So wie das Apokalyptische im Kino). Die Worte Jesu, wie Matthäus sie überliefert, sind also etwas ganz anderes als eine Anleitung für Alpträume, nämlich eine Ermutigung, an eine bessere Zukunft zu glauben, auf Gottes Welt hin zu leben. Keine Drohung, sondern – ganz frei von Ironie – ein Versprechen.
Wie passt nun ein solches Evangelium in unsere Gegenwart? Schonkost ist das gewiss nicht. Am Anfang des Kirchenjahres den Matthäus vom Ende her aufzuschlagen, ist schon etwas strange, wie die Jugend sagen würde. Sie kennen vielleicht die Redensart „es ist Matthäi am letzten!“, wenn es ganz furchtbar eng wird.
Aber ich meine, es macht Sinn, sich im Advent zu erinnern an solche Zukunftsbilder voller Angst, die in unsere Glaubenstradition eingegangen sind. Sie lenken unseren Blick zurück in die Gegenwart, auf Bilder von Bedrohung durch Krieg, Armut, Angst um die Heimat, Spaltung und Entfremdung von Völkern, Familien, Partnerschaften. Vor den Katastrophen der Welt, den großen wie den kleinen, sollen und können wir die Augen nicht verschließen.
Advent heißt also: wachsam sein und auf den Herrn warten, heißt auch Alarmbereitschaft – wenn der Herr kommt, will er eine lebendige Welt vorfinden, keine verlebte.
Advent ist Einkehr, Besinnung, zur Ruhe finden, in der die Stimme Gottes vernehmlich wird.
Advent ist, Gott einzulassen in unsere Welt, in unsere Städte, unsere Häuser. Seine Spuren wahrnehmen im Glanz der Kerzen, schmecken in den Düften unserer Kindheit, zu sehen in der Schönheit von Natur und Kunst, zu hören in der Harmonie der Musik.
Vergessen kann man die Welt nicht, und soll man als Christ auch nicht – es ist die Welt, in die Gott kommen will.
Ja – die Erinnerung an Gott mag uns die Welt neu sehen lassen.
Und seien wir gewiss:
Gott wird kommen – wann und wo und wie er will.
Drängeln geht nicht. Bremsen geht auch nicht.
Aber die Tür aufhalten – das können wir schon!
AMEN
(Wilfried Goretzki)
Liebe Gemeinde!
„Jesus, Meister, erbarme dich unser“, riefen die Aussätzigen dem Jesus zu. Not lehrt beten, sagt ein Sprichwort. Die zehn Aussätzigen waren wirklich in Not. Damals litten sie nicht nur unter Hautbeschwerden. Wer damals aussätzig war, musste heraus aus dem Ort, aus der Familie, er wurde isoliert, er war praktisch zum Sterben verurteilt. Alles, einfach alles hatten diese Menschen verloren. In ihrer Verzweiflung schrieen sie zu Jesus.
Sie hatten nur einen Wunsch: Alles sollte wieder normal werden. Darum sprachen sie Jesus an. Das Sprichwort: "Not lehrt beten" stimmt auch heute noch. Auch heute noch füllen sich die Kirchen in Zeiten der Not und der Katastrophen. Heute noch wenden sich viele Menschen dem Gespräch mit Gott zu, wenn sie ein persönlicher Schicksalsschlag getroffen hat.
Schauen wir genauer hin, dann wird deutlich, dass es nicht ganz stimmt. Not lehrt bitten.
Beten aber ist mehr als ein verzweifeltes Bitten. 10 Aussätzige hat Jesus geheilt. Zehn hat er wieder ins normale Leben zurückgeführt. Nur einem von ihnen war das nicht genug. Nur einer hat sich mit der Normalität nicht zufrieden gegeben. Nur einer hat aus der Not gelernt. Nur einer wollte mehr. 10%, ein Verhältnis, das vielleicht auch heute noch stimmt. Mir scheint auch heute noch ist es nur einer von 10, der nicht mit dem Normalen zufrieden ist, der mehr sucht, der nach dem Sinn von allem fragt und selbst Zugang zur Quelle des Lebens will.
Ein Aussätziger ist zurückgekommen, weil ihm klar wurde, wer diese Not lindern kann, der kann auch noch mehr. Die Dankbarkeit des einen Aussätzigen ist mehr als nur eine Verpflichtung. Dankbarkeit ist immer auch eine Richtung, eine Ausrichtung, ein Ziel, das ich mir setze. Die Krankheit, die Not hat für einen der zehn Aussätzigen etwas Gutes gehabt. Er hat erkannt, dass es einen besseren Weg gibt.Neun andere gehen weiter auf dem alten Weg, im alten Trott. Die biblische Erzählung erklärt so vieles, was wir heute auch beobachten.
Viele Menschen geraten in Not. Viele kommen gerade noch einmal davon, bei einer tödlichen Krankheit, bei einem Autounfall oder anderem. Die Meisten geraten zur Normalität zurück, ein Alptraum, der vorbei ist. Aber jeder Alptraum hat einen Anlass und eine Bedeutung. Jede Not ist auch eine Chance und ein Zeichen. Manche können sie verstehen und ergreifen. Sie deuten ihr Leben von Gott her und entdecken eine Welt, die zwischen den Zeilen lebt, eine Welt hinter den oberflächlichen Dingen.
Diese Entdeckung geht selten ohne Krise. Als Kind lernen wir von unseren Eltern Gott mit einem Vater zu vergleichen. Wenn wir brav sind, dann tut er uns Gutes, er der allmächtige Gott. Dieses Bild ist notwendig in der religiösen Erziehung von Kindern, weil sie noch kein komplizierteres Bild verstehen können. Bleibt dieses Gottesbild aber im Erwachsenenalter stehen und reift es nicht weiter, dann werden wir daran irre. Es stimmt einfach nicht, dass es die guten gut haben und die Schlechten schlecht. Gott ist nicht der Lenker aller Dinge dieser Welt, der alles gerecht ordnet. Immer wieder fragen wir uns: wie kann Gott das zulassen. Hat Gott es zugelassen, dass so viel unschuldige Opfer starben, beim Taifun in der Karibik, bei Bombenanschlägen im Irak, beim Krieg in Syrien in Halle und an so vielen Orten in der Welt. Hat Gott es zugelassen oder in Kauf genommen, dass Jesus hier am Kreuz stirbt.
Viele Erwachsene haben noch das Gottesbild eines Kindes, sie haben es gehegt und gepflegt, aber nicht wachsen lassen. Wenn ich brav bin, dann hilft mir Gott. Dieser Glaube greift zu kurz, er muss wachsen. Wächst er nicht, dann wird Gott in meinen Augen zum Täter in einer Welt voller Gewalttaten. Ich wende mich von Gott ab oder opfere meinen Verstand dem Gehorsam.
Gott aber ist anders. Ich brauche ein gereiftes Gottesbild, das mit meinen Erfahrungen wächst. Glaubenskrisen sind sehr förderlich für dieses Wachstum. Dadurch lerne ich, dass Gott bedingungslos auf der Seite der Opfer steht. Er ist der, der in Jesus Christus selbst als Opfer am Kreuz hing. Er hat sich erniedrigt, er hat die Kreuzigung nicht verhindert. Seither müssen wir ihn immer bei den Opfern suchen und nicht bei den Tätern. Dort bei den Opfern werden wir Gott finden. Und wir werden mehr finden, als wir eigentlich gesucht haben. Der Nothelfer kann noch mehr als unsere Not lindern, er kann noch mehr als nur den Aussatz heilen. Er zeigt uns die Quelle von allem.
Dankbarkeit ist ein sichtbares Zeichen dafür, dass wir diese Quelle gefunden haben. Dankbarkeit ist zunächst nur ein Wort. Jeder von uns stellt sich dabei etwas anderes vor. Aber es gibt eine Ergriffenheit, die unser ganzes Leben zum Guten verändert. Wer so von tiefer Dankbarkeit erfüllt ist, der fragt gar nicht erst nach dem Sinn des Lebens. Er freut sich einfach über alles. Er quillt über von Liebe, die er verschenken will. Alles an seinem Leben ist Freude. Diese Dankbarkeit ist wie eine Kunstfertigkeit. Sie ist wie das Klavierspielen. Immer wieder muss es geübt werden, sonst verliert sich die Meisterschaft. Die Kunst der Dankbarkeit muss geübt und gepflegt werden. Das geschieht im Beten und im Gottesdienst. Dankbarkeit macht aus unserer Bitte ein Gebet.
Not lehrt nicht automatisch beten. Not allein zeigt uns nicht den Weg zum Heil. Aber wer wirklich beten will, wer Gemeinschaft und Geborgenheit in Gottes Welt sucht, der kommt um die Not und das Leid kaum herum. Das ist uns Christen verheißen. In jeder Not, sei sie auch noch so groß, liegt auch eine Chance, die es ohne das Leid nicht gäbe. Die Botschaft von Christus ist ein Skandal, damals wie heute. Aber einer von zehn veränderte sein Leben. Zu ihm sagte Jesus: Steh auf, wandere weiter, dein Glaube hat dich gerettet. (Amen.)
Pfr. Gerald Warmuth
Liebe Gemeinde!
Fronleichnam ist das Fest des Brotes. Das Brot ist ein uraltes Symbol. Das Brot ist ein Zeichen für Heimat und Freiheit. In der Geschichte Gottes mit den Menschen ist dieses Zeichen immer wieder an entscheidender Stelle zu finden.
In der Schriftlesung haben wir von Abram und Melchisedek gehört. Abraham wanderte mit seiner Familie und seinen Tieren als Hirte umher. Es ist ein hartes Leben, in der Abhängigkeit vom Wetter. Bleibt der Regen aus, ist das Weideland abgegrast, so geht die Nahrung aus. Die Hirten waren selten erwünscht, sie wurden gehetzt, keiner will sie haben. Vor allem bei uns in Leutenbach und in Winnenden gibt es viele, die das erlebt haben und gut verstehen, was es heißt fremd zu sein und als Gast herzlich aufgenommen zu werden.
Der König Melchisedek ließ den Hirten Abraham siedeln. Er schließt einen Bund mit ihm. Abraham darf siedeln gegen die Abgabe des Zehnten Teiles seiner Ernte. Der König Melchisedek bietet Abraham eine Heimat, diesem wandernden Aramäer. Der König von Salem bringt dem Stammvater Israels Brot und Wein heraus.
Brot und Wein sind ein Zeichen des Bundes, ein Zeichen für Heimat, bis heute. Wenn wir heute Eucharistie feiern, dann wird uns Heimat angeboten. Wir sind keine Nomaden, die mit ihren Herden durch die Steppe ziehen. Aber wir sind auch ruhelose Wanderer durch den Alltag dieses bewegten Jahrhunderts und durch die rasch wandelnde Gesellschaft. Im Gottesdienst jetzt wird uns das Brot gereicht, das Zeichen der Heimat, in die wir aufgenommen sind. Alle die an diesem Mahl teilnehmen, sind keine Fremde mehr. Sie schließen den neuen Bund. Egal ob deutsch oder Ausländer, ob katholisch oder evangelisch, das eucharistische Mahl löst diese Unterschiede auf. Wer mit am Tisch sitzt, hat eine Zuflucht, er gehört zu uns. Jeder hat ein Heimatrecht, dem dieses Brot gereicht wird.
Was kann unsere beiden Gemeinden mehr verbinden als dieses gemeinsame Mahl. Das Brot ist Zeichen der Heimat. Wenn wir dieses Mahl heute (im freien) Feiern, dann ist das fast eine Demonstration. Eine Demonstration für Gastfreundschaft. In dieser Demonstration zeigen wir nicht die kalte Schulter, sondern die warme Schulter. Die warme Schulter bieten wir an um die Last des Fremden mitzutragen. Wir alle sind ein Stück weit fremd in einer Welt, in der es viel Unmenschlichkeit und Ungerechtigkeit gibt. Wir werden gesegnet und eingeladen in die Heimat, die Gott uns bereitet. Wir sind beides. Kinder von Abraham, dem wandernden Aramäer. Wir kennen die Not als Fremde in einer fremden Welt. Und darum sind wir auch verpflichtet Kinder von Melchisedek zu sein. Weil wir empfangen haben, weil wir die Heimatlosigkeit kennen, geben wir auch anderen Anteil an unserem Leben.
In der spanischen Sprache nennt man einen Freund einen companero. Pan bedeutet Brot. Ein Companero ist einer, der mit mir am Tisch sitzt, einer, der mit mir das Brot isst, einer, der mit mir sein Brot teilt. Das Teilen ist die Konsequenz aus der Erfahrung der Heimatlosigkeit und aus der Erfahrung, dass wir mit Brot empfangen worden sind. Fronleichnam ist das Fest des Brotes und damit auch eine Demonstration des Teilens. Im Evangelium hören wir von einem Geschehen, das fast ein Wunder ist. Es ist ein Wunder, das auch heute immer wieder geschieht. Dort wo Menschen nicht versuchen die eigene Haut zu retten, dort wo Menschen alles hergeben um zusammenzulegen, geschieht dieses Wunder. Am Ende reicht es für alle. Wenn es einen Kuchen zu verteilen gibt und jeder versucht sich soviel wie möglich zu sichern, bleiben alle hungrig und gierig zurück. Wenn aber jeder überlegt, wie viel brauche ich wirklich und wie viel kann ich den anderen abgeben, auf wie viel kann ich verzichten, dann sind meist alle zufrieden und es bleibt sehr viel übrig, wie einst bei der Speisung der 5000.
Das Wunder des Teilens ist kein einmaliges Ereignis vor 2000 Jahren. Dieses Wunder geschieht bis heute immer wieder, und es ist ansteckend. Es breitet sich aus wie eine Infektion. Dieser Geist des Teilens ist aber keine ansteckende Krankheit. Es ist wie eine ansteckende Gesundheit. Das Wort Fronleichnam bedeutet Dienst am Leib des Herrn. Das ist nicht ganz leicht zu verstehen. Leib ist dabei nicht dasselbe wie Körper. Es geht nicht darum den Körper Jesu in Brot zu bannen und zu ergreifen. Etwas in der Hand zu haben, was uns Sicherheit gibt. Das griechische Wort für den fleischlichen Körper heißt „sarx“. Das Wort für den Leib eines Menschen ist aber „soma“. Der Leib eines Menschen ist mehr als sein Körper. Alles, was ein Mensch geschaffen und gewirkt hat, macht seinen Leib aus. Das Haus, das er gebaut hat, der Garten, den er gepflanzt hat, der Verein, den er gegründet hat, den Brief, den er geschrieben hat, der Mensch, den er mit seiner Liebe erzogen hat, all das macht seinen Leib aus. Der Leib Christi ist viel mehr, als sein Körper, der am Kreuz gehangen ist. Derr Leib Christi ist unfassbar und unbegreiflich.
Das göttliche Wesen können wir nicht verstehen und fassen. So gerne hätten wir Halt und Sicherheit. Aber das Brot, das wir in der Prozession tragen, gibt keine Sicherheit. Es gibt uns Hoffnung. Die Monstranz ist keine Waffe, mit der wir uns in dieser Welt wehren können. Das unfassbare Geheimnis Gottes können wir nur berühren. Wenn wir aber das Unfassbare berühren, strömt die Liebe Gottes in uns. Mit dieser Liebe treten wir der Welt mit ihren Herausforderungen gegenüber. Die Hände der Osterkerze, die Hände des Blumenteppichs sind tastende Hände. Sie wollen das Heilige berühren. Wer vom Leib Christi angerührt ist, der ist verwandelt und gestärkt. Wir Menschen suchen oft Sicherheit bei Gott. Wir würden ihn gerne als unseren Besitz betrachten. Das würde uns aber zu Marionetten machen. Gott will von uns geliebt werden und deswegen müssen wir frei sein. Nur freie Menschen sind wirklich liebesfähig. Liebende halten sich nicht fest, sondern berühren sich. Als Companeros, als Freunde feiern wir diesen Gottesdienst, diesen Tag und dieses Fest. Gehen wir dabei auch auf die zu, die wir noch nicht kennen, damit zusammenkommt, was zusammen gehört. Warum sollte uns nicht gelingen, was Abraham und Melchisedek vor 3000 Jahren gelang.
Pfr. Gerald Warmuth
Liebe Gemeinde!
Der Mensch ist, was er isst. Das zweite „ist“ schreibt sich mit ß oder in der neuen Rechtschreibung mit ss. Dieser Satz gilt als Kurzzusammenfassung des Materialismus und bedeutet, dass der Mensch nur eben das ist, was er an Materie aufnimmt. Wie eine Maschine sei der Mensch eben nur die Summe seiner Einzelteile. Materialismus ist die geistige Grundlage des Kommunismus und hat als Grundlage auch den Zusammenbruch der kommunistischen Gesellschaftssysteme überstanden. Materialismus ist aber auch die geistige Grundlage in unserem kapitalistischen Gesellschaftssystem. Dinge, die wir erleben, versuchen wir auf ihre Ursachen zurückzuführen, um sie zu erklären. Ein auffälliges Verhalten hat ein Mensch entweder geerbt oder er hat eine Erfahrung gemacht, die ihn entsprechend geprägt hat. So versuchen wir zum Beispiel das Verhalten der fremdenfeindlichen Gruppen zu verstehen, über die gerade in Deutschland so viel geredet wird.
Der Mensch ist, was er isst. Was er in sich hineinsteckt, was er konsumiert hat, und wer nichts zu beißen hat, der ist eben wenig oder nichts. Nur noch unsere Verfassung und unser Rechtssystem schützen das Wesen und die Würde eines Menschen. Von der breiten Masse der Bevölkerung wird dieser Schatz der Lebenswürde kaum noch mitgetragen. Der Mensch ist, was er isst. Ich möchte dieses Schlagwort des Philosophen Ludwig Feuerbachs nicht polemisch bekämpfen, sondern es ernst nehmen – angesichts des Evangeliums heute.
Ich bin das lebendige Brot Wer von diesem Brot ist, wird in Ewigkeit leben. Der Mensch ist, was er isst. Vorschnell könnten wir Katholiken denken. Jesus und Ludwig Feuerbach sind sich einig und Jesus gibt uns daher das eucharistische Brot zum Essen, damit wir etwas sind. Das Bild vom Brot, das Johannes uns überliefert, aber ist viel tiefer und hilft uns, unser Leben zu verstehen und zu gestalten. Nicht nur um körperliches Essen und Trinken geht es dabei, sondern um alles Aufnehmen. Wir Menschen sind wirklich nur das, was wir aufgenommen haben in uns, als Erfahrung. Bleiben wir im Bild vom Essen. Der Eine ist groß uns stark, weil er stets genug gegessen hatte, ein anderer stirbt an Skorbut oder durch Schwäche. Für ihn war nie genug zu essen da.
Dieses Bild vom Brot spricht darüber, warum der eine so ist und der andere eben anders. Warum sind wir Menschen verschieden? Warum schließen sich jungen Menschen den Neonazis an und schlagen auf Ausländer ein. Warum sitzen wir heute morgen hier und andere gehen im Wald spazieren oder liegen in den Betten? Warum gehen Menschen wie Mutter Theresa nach Indien und leben unter Sterbenden und ein anderer setzt sich mit 5 Millionen ins Steuerparadies ab? Warum gehen manche Menschen zitternd in den Tod und andere nehmen ihr Lebensende zuversichtlich an?
Der Mensch ist, was er isst. Die Nahrung der Mutter Theresa war offensichtlich anders als die des Steuerflüchtlings. Wenn Jesus sagt: ich bin das Brot, dann sagt er: Ich kann euch verändern. Ich kann euch zu ganz anderen Menschen machen. Das eucharistische Brot zu essen ist noch nicht genug. Diese Kommunion muss begleitet sein von einer anderen Aufnahme. Wir können die Heilige Schrift wie Nahrung aufnehmen. Auch ein Wortgottesdienst, auch ein evangelischer Gottesdienst geben uns das Brot, von dem Jesus spricht. Das Wort ist das Brot. Auch die Erfahrungen im Leben der Kirchengemeinde können wir wie Nahrung aufnehmen. Die Gemeinschaft ist das Brot. Bis wir durch und durch – nicht nur äußerlich – angefüllt sind von Christus. Über diese Aufnahme von geistlicher Nahrung muß sich jeder Christ Gedanken machen. Von alleine geht das nicht.
Mir wird das wieder klar, wenn ich die Fernsehbilder über die Neonaziaufmärsche in Deutschland sehe. Für mich sind diese Menschen auch Opfer. In ihnen sehen wir die Frucht der antireligiösen materialistischen Prägung über Jahrzehnte hinweg. In der DDR war das besonders intensiv, aber auch wir sind auf diesem Gleis einer unreligiösen Prägung. Die Früchte werden erst noch auswachsen. Haßerfüllte Menschen sind nicht böse Menschen. Schlechte Ernährung ist für mich die Erklärung. Ich denke an eine Erfahrung aus Guatemala zurück. Die Kinder in den Bergdörfern waren unterernährt. So schlimm, dass auch die schulischen Leistungen sehr schlecht waren. Aber es gab eigentlich zu essen. Das Problem war eine Fehlernährung. Eiweismangel beeinflusst die Entwicklung des Gehirns in den ersten drei Jahren. Bei jeder Taufe gaben wir den Eltern einen Zettel mit, auf dem aufgemalt war, was ein Säugling pro Woche essen sollte. Und der Priester predigte immer wieder, die Leute sollten ihre Eier nicht alle verkaufen, sondern auch den Kindern davon geben. Aus dieser Erfahrung ergibt sich für mich die Frage: nehme ich genug geistige Nahrung auf? Esse ich das Brot, das Jesus anbietet.
Zu dieser Frage spricht auch die Lesung heute: Ein Mensch der am Ende ist: Er hält es nicht mehr aus. „ Nun ist es genug, Herr. Nimm mein Leben. Der Engel rührte ihn an: Steh auf und iss, sonst ist der Weg zu weit für dich. Und Elia stand auf, er aß und trank und wanderte vierzig Tage und Nächte bis zum Gottesberg Horeb."
Essen wir das Brot des Lebens, das Jesus anbietet.
Pfr. Gerald Warmuth
Liebe Gemeinde!
Um Gericht und um Rettung geht es heute im Evangelium. Wer die Wahrheit tut, kommt zum Licht. Was ist gut und was ist böse? Was ist die Wahrheit?
Auf diese Fragen antwortet Johannes im Abschnitt des Evangeliums an diesem 4. Fastensonntag. Wer die Wahrheit tut, kommt ans Licht, damit offenbar wird, dass seine Taten in Gott vollbracht sind. Ich denke dabei an etwas, das ich in Amerika erlebt habe. Als ich in Manhatten, in New York, lebte, bemerkte ich, dass die Kanalarbeiter stets mit einem Gewehr zu ihrer Arbeit hinabstiegen. Als ich nachfragte, erfuhr ich, dass es dort im Kanal Alligatoren gab. Sie waren als Haustiere verkauft worden und, als sie nicht mehr in die Badewanne passten, haben sie die Leute ausgesetzt. Sie haben sich an die Unterwelt angepasst. Sie leben von Ratten, die sie anhand ihres Riechorgans fangen. Diese Alligatoren leben stets im Dunkeln und sind praktisch blind.
Es beschäftigt mich, dass diese Tiere gelernt haben nur im Dunkeln zu leben. So wie diese Kanalechsen stelle ich mir Menschen vor, die nur im Dunkeln leben. Sie sind wie Fledermäuse: Sie haben nie etwas anderes erlebt, aber sie kennen keine Wärme, kein Licht und keine Farbe. Muss man sie bedauern?
Wenn Jesus Menschen ruft in der Wahrheit zu leben, ans Licht zu kommen, geht es nicht um Schuld. Es geht um eine Einladung, anders zu werden und anders zu sein. Dieser Einladung zu folgen ist nicht leicht. Es ist sogar sehr schwer. Wie soll sich eine Fledermaus zu einer Taube verwandeln? Nur so versteh ich diese rätselhaften Worte des Jesus. Wer nicht umkehrt, ist schon gerichtet. Er bleibt ein Kanalwesen. Jesus ist nicht gekommen, um zu richten und zu bestrafen. In der deutschen Sprache hat Gericht und Richten einen doppelten Sinn, das erhellt das Evangelium.
Richten kann aufrichten bedeuten.... Richten kann herrichten bedeuten Es geht um ein Verwandeln. Um einen Sinn für die Wahrheit, um das Leben in der Wahrheit, als Taube, nicht als Kanalratte. Jesus ist die treibende Kraft, wir können ihm entgegenkommen, indem wir Orte suchen, wo das Leben natürlich ist, Orte von Sonne und Schönheit, voll Solidarität und Mitgefühl. Wir können geschwisterliche Gemeinschaft suchen und aufbauen, dort werden wir schneller oder langsamer verwandelt werden. Wir können solche Orte suchen und die Kanäle meiden.
Als Pfarrer werde ich oft gefragt: Ist das eine Sünde? Die wenigstens meinen diese Frage ernst. Viele Christen aber haben wirklich kein Verständnis, was Schuld ist und was Sünde ist. Viele Menschen, auch Christen, wissen erst gar nichts mit diesem Wort, mit dem Begriff Sünde anzufangen. Was ist Sünde? Die Bibel ist voll von diesem Begriff. Was heißt er? Ich greife einen Satz aus der Lesung auf: Wir waren tot infolge unserer Sünde, dadurch dass Gott uns geliebt hat, sind wir wieder lebendig. Ich will das Schriftwort umdrehen, um der Frage nachzugehen, was Sünde ist.
Sünde ist das, was uns tot macht, das, wodurch unsere Lebendigkeit beschränkt ist. Mit Tod ist hier nicht der körperliche Tod gemeint, sondern ein innerliches Absterben. Wir müssen, um das zu verstehen, unsere Wahrnehmung schulen. Mit Feingefühl müssen wir unser Leben betrachten. Dort, wo wir in guter Beziehung sind, sind wir lebendig. In guter Beziehung zu all unseren Mitmenschen. In guter Beziehung zu unserer Umwelt. In guter Beziehung zu uns selbst. In guter Beziehung zu Gott. Sünde dagegen ist der Zustand der Trennung. So ergeben sich vier Arten von Sünde.
Die Sünder, bei der die Beziehung zu den Mitmenschen zerbrochen ist. Durch böse oder lieblose Worte, oder wenn wir andere ausgenutzt haben. Wenn wir Menschen beherrschen, nicht als Menschen, sondern als Gegenstände behandeln, den alten pflegebedürftigen Onkel, den Aidskranken Nachbarn, den Asylbewerber. Den Schaden durch diese Sünde haben nicht die anderen. wir selbst verlieren die gute Beziehung zu den Menschen, wir selbst verlieren Lebendigkeit, wir werden einsam. Sünde ist eine Belastung für uns.
Eine andere Art der Sünde ist es, wenn wir die gute Beziehung zu unserer Umwelt abbrechen, weil wir sie schädigen und nicht verantwortungsvoll sind. Wenn wir unsere Gesellschaft durch Betrug schwächen, wenn wir die Ordnung aus Habgier unterlaufen, wenn wir die Natur ausbeuten, verlieren wir das unbeschwerte Leben. Psychisch werden wir krank an diesem abgespaltenen Leben. Sünde ist eine Belastung für uns.
Eine dritte Art der Sünde ist, wenn wir mit uns selbst unversöhnt sind. Wenn wir unseren Körper bekämpfen durch ehrgeizige Arbeitswut, oder aus Eitelkeit abnehmen wollen, oder uns mit Drogen aus der Realität herausflüchten. Wer sich selbst bekämpft, wer keinen Frieden mit sich selbst hat, der hat keinen Zugang zum echten Leben. Er wird von außen gelebt. Innerlich ist er tot. Sünde ist eine Belastung für uns.
Schließlich gibt es die Sünde, wenn die Beziehung zu Gott abgebrochen ist. In dieser Beziehung liegen alle 3 Arten der Beziehung. Gott begegnet uns im Nächsten, in der Umwelt und in unserem Selbst. In Gott tritt uns die Gesamtheit unserer Erfahrungen, tritt uns die ganze Welt gegenüber. Ist diese Beziehung abgebrochen, dann ist die Welt für uns ein totes Gegenüber. Sie verliert ihre Bedeutung, ihren Sinn. Aber nicht die Welt ist tot. Wir haben uns selbst ausgeschlossen aus der Lebendigkeit. Sünde ist eine Belastung für uns.
Die Frohe Botschaft des Paulus heute sagt: Dieser Zustand der Sünde, dieser Beziehungsbruch, wird von der anderen Seite her überwunden. Gott kommt mit seiner Liebe auf uns zu. Gott tut den ersten Schritt der Versöhnung. Buße und Umkehr heißt lediglich, diese ausgestreckte Hand Gottes anzunehmen. Gott drängt uns mit seiner Liebe zu dieser Versöhnung, aber er zwingt uns nicht. Jesus ist nicht gekommen, damit er die Welt richtet. Er ist gekommen um zu retten, was verloren ist. Wer nicht glaub,t ist schon gerichtet. Wer nicht ans Licht kommt, der bleibt im Dunklen. Amen.
Pfr. Gerald Warmuth
Liebe Gemeinden!
Fronleichnam ist für viele nur ein volkstümlicher Brauch, ähnlich der Fasnet. Vor allem der Blumenteppich prägt sich ein. Worum es wirklich geht, können wir nur verstehen, wenn wir daran glauben, dass dieses Brot, das wir in Jesus Namen brechen, Gottes Sohn selbst ist, der sich uns hingibt, weil er uns liebt. In dem Wunder, von dem wir gehört haben, ist es leichter zu glauben. Menschen waren hungrig, Menschen wurden satt. Erfahrung überzeugt. Wer das erlebt hat, der vertraut auf Jesus, der verliert seine Lebensangst, der freut sich des Lebens, der wird dankbar und zufrieden.
Viele fragen sich: was bringt es, dass wir glauben, dass dieses Brot kein gewöhnliches totes Brot ist, sondern der lebendige Leib Christi, den wir verehren.
Was bringt es, das ist eine typische Frage unserer Zeit und wir müssen darauf Antwort geben, so wie unsere Zeit sie braucht.
Was bringt es zu glauben? Es lohnt sich, den Glauben zu leben! Glauben schafft Vertrauen - bei mir und bei anderen. Glauben gibt Halt- mir und der Gemeinschaft. Glauben gibt Orientierung und erschließt Sinn. Glaube nimmt die Lebensangst und befreit. Und Glaube setzt Freude frei. Diese Freude kann uns tragen und halten, sie lässt uns etwas aushalten. Wie sich die hungernden Menschen von den satten unterscheiden, so sehr unterscheiden sich auch Menschen ohne Glauben von gläubigen Menschen. Wer dieses Wunder des Glaubens erlebt hat, der ist überzeugt und hält fest an diesem Vertrauen. Dieses Vertrauen, das Freude schafft, wird von vielen gefordert.
Vor allem konservative Politiker sagen, die Kirche soll nicht so viel kritisieren, sondern Positives verkünden. Schließlich verkünden wir die frohe Botschaft. Diese frohe Botschaft, die uns Menschen dankbar macht und mit Freude erfüllt, genau das braucht unser Land. So leicht geht es aber nicht. Einfach ein Lächeln aufsetzen und 'bin so froh' singen, kann echten Glauben nicht ersetzen und nicht das Vertrauen in uns schaffen, das unser Leben wirklich verwandelt. Wenn ich einen Menschen im Krankenhaus besuche, von dem der Arzt sagt, er werde bald sterben, dann kann ich diesem Menschen nicht auf die Schultern klopfen und sagen: Sie werden hundert Jahre alt. Wenn ich das täte, wäre ich ein schlechter Seelsorger und unglaubwürdig.
Echte Seelsorge ist der Wahrheit verpflichtet, auch wenn sie schwer zu ertragen ist. Echte Seelsorge geht nicht den bequemen Weg, sondern den schweren. Echte Seelsorge verschweigt den Tod nicht und hält die Ohnmacht des Lebens aus. Und trotzdem ist diese Seelsorge besser als jede Narkose, jede Ablenkung, jede Droge. Wenn wir auf das Brot, den Leib Christi schauen, dann schauen wir auf den, der für uns gestorben ist Auf den, der gelitten hat für uns. Das Warum dieses Todes bleibt ein Geheimnis, ein Mysterium. Aber genau dieses Geheimnis ist das Wunder, das unser Leben verändert und vertrauen in uns wachsen lässt. Vertrauen, das alle Fesseln sprengen und alle Angst wegblasen kann. Wenn wir nicht nur mit dem Kopf dieses Geheimnis für wahr halten, sondern es mit dem Herzen annehmen, mit Augen, Mund und Händen daran teilnehmen, werden wir verwandelt, Stück für Stück, werden wir neue Menschen.
Wenn wir das nicht alleine tun, sondern wie jetzt in Gemeinschaft, dann hilft uns das dabei, dass dieses Vertrauen nicht flüchtig ist, sondern ein solider Teil unseres Lebens wird. Kollektiver Glaube bewirkt kollektives Vertrauen und kollektive Freude. Der Glaube an das Geheimnis dieses Tages bringt uns etwas, das weiß jeder, der zurückschaut auf ein Leben in diesem Glauben. Ich erlebe es immer wieder, wenn ich einen sterbenden Menschen begleite, dessen Leben von diesem Vertrauen geprägt war. Er ist wie ein Jünger, der bei der Speisung Jesu dabei war. Was er erlebt hat, bleibt ein geheimnisvolles Wunder, das Ergebnis dieses Wunders aber, das Vertrauen, das die Angst nimmt und Freude bewirkt, das Ergebnis ist deutlich sichtbar.
Für alle, die auf dem Weg sind, bei denen dieser Glaube noch nicht beständig ist und die noch nicht erfüllt sind von Vertrauen und Lebensfreude, für die gehen wir an Fronleichnam an die Öffentlichkeit. Wir geben Zeugnis. Es ist wie eine Demonstration . Eine Demonstration, die nicht unseren Glauben stärken soll und uns bereichern soll. Eine Demonstration, die andere an Vertrauen und Dankbarkeit bereichern soll. Nicht wie die Angebote der Werbung, die auf Illusion und Schönfärberei vertrauen. Unsere Demonstration versteckt Tod, Leiden Ohnmacht und Schuld nicht. Die Wahrheit braucht nicht versteckt zu werden, weil Christus die Welt, wie sie ist, angenommen und durch seine Liebe erlöst hat. Unsere Demonstration ist eine Absage an jede Form von Droge und Weltflucht. Wir brauchen der Realität nicht zu fliehen, weil sie von Christus durchdrungen ist, wie das Brot, das wir brechen und durch die Straßen tragen. Wir ertragen uns selbst unsere Kirchengemeinde mit unserer Schwachheit und Schuld.
Vertrauen wächst im Blick auf dieses Brot. Vertrauen zu IHM und Vertrauen zu uns, Dankbarkeit und Freude. Heute gehen wir also auf die Straße. Es ist nicht nur eine Demonstration, mehr noch es ist wie ein Aufstand. Ein Aufstand wogegen? Fronleichnam ist ein Aufstand dagegen, dass unser Glaube so wenig mit unserem Leben zu tun hat. Fronleichnam ist ein Aufstand dagegen, dass unser Glaube nur im Kopf existiert. Heute glauben wir nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit den Augen- -wir sehen das Brot- heute beten wir nicht nur mit den Lippen- sondern auch mit den Augen und den Füßen. Fronleichnam ist ein erster Schritt heraus aus einem belanglosen Feierabendglauben.
Ein erster Schritt auf dem Weg zu einem vitalen christlichen Glauben. Was wir suchen ist ein vitales Christentum. Ein vitales Christentum ist zunächst dadurch gekennzeichnet, dass nichts, was mein Leben ausmacht, versteckt oder amputiert werden muss. Wir Menschen sind nicht nur Geist und Verstand. Wir haben einen Körper, einen Leib. Für diesen Leib und seine Bedürfnisse muss im Christentum ein Platz sein. Auch für die Sinne, für Musik und Tanz, für Geschmack und Schönheit. Platz muss sein für Leidenschaft. Wer Leidenschaft verdrängt, wie soll der Gott leidenschaftlich lieben? Ein Platz muss sein für Zärtlichkeit! Wer Zärtlichkeit verdrängt, wie soll der Gott innig lieben? Platz muss auch sein für Zorn und Klage, ein Platz für das Streiten! Wer nur vor Respekt erstarrt, der bleibt im Hass, wie soll der sich versöhnen? Ein Platz muss sein für Trauern und Weinen! Wer nicht mehr weinen kann, wie soll der mitfühlen mit den Schwestern und Brüdern? Das alles gehört für mich zu einem vitalen Christentum. Ein Christ-sein mit Blut, Schweiß und Tränen, mit Lachen, Tanzen und Singen.
Wenn das Christentum in unserem Land nicht völlig verschwinden soll, dann muss es mehr und mehr ein vitales, sinnliches Glauben werden. Ein Christentum als reine Idee, oder als Sonntagsbeschäftigung wird bald ins Museum gehören. Das Christentum dieses frischen Jahrhunderts ist wieder vital und sinnlich. Wertschätzung ist eines der leitenden Haltungen in dem Wandlungsprozess, der in unserer Diözese angesagt ist. Wenn wir heute ins Freie gehen, dann zeigen wir, dann demonstrieren wir, dass wir die Welt auch die Welt außerhalb unserer Kirche wertschätzen und ihr mit Liebe begegnen. Wir bringen auch dem, was uns fremd ist, unsere Liebe entgegen, weil wir alles als Schöpfung Gottes verstehen. Wir glauben an Gott und wir schätzen auch die, die sich Atheisten nennen. Ihre Kritik hilft dabei, nicht selbstzufrieden auf einem hohen Ross unseren Glauben in der Tasche zu haben. Durch Kritik müssen wir einen falschen Glauben an Gott immer wieder neu aufbauen und einen alten Wahn aufgeben. Wir können Atheisten wie ein Geschenk annehmen, weil sie uns herausfordern, immer festeren Grund für den Glauben an Gott zu finden.
Wieviel haben wir Katholiken aus der Ökumene gelernt? Im Miteinander der Konfessionen sind wir alle gewachsen. Wenn wir heute in Winnenden und Leutenbach auf die Straße, in die Öffentlichkeit gehen, dann treffen wir aber nicht nur Schwestern und Brüder in der Ökumene, wir treffen nicht nur Atheisten, die wir als Kritiker brauchen. Wir treffen auf viele Menschen, die ich als Apathisten bezeichnen würde. Ihnen ist die Frage nach Gott egal. Ich glaube, diese Menschen brauchen unsere Demonstration. Ich glaube, die meisten merken nicht, wer sich heimlich auf den Thron gesetzt, dem sie Gott nicht geben wollen. Sie merken oft gar nicht, welche primitiven Götzen sie beherrschen.
Jetzt ist diese Vitalität noch durch zwei Dinge stark beschnitten. Erstens die Verteufelung der Sexualität. Zwar ist sie in der offiziellen Lehre bereits zurückgenommen, sie steckt aber noch in den Köpfen so vieler Christen, katholisch wie evangelisch. Die Kraft des Glaubens war einst auf Angst aufgebaut. Eine schlimme Verirrung. Die Kraft für den Glauben muss aus der Lust und aus der Liebe strömen. Eine Liebe zur ganzen Welt, in der nichts verteufelt werden muss. Daran krankt unsere kirchliche Gemeinschaft, dass wir uns zu oft der Welt wie sie ist entgegenstellen und sie verteufeln. Wir brauchen nicht alles annehmen und nachmachen, was es gibt, aber wir können alles in Liebe betrachten, bestaunen und wertschätzen. Darin ist uns Papst Franziskus ein Vorbild.
Eine fatale Beschneidung des Glaubens ist die unbedingte politische Abstinenz die sich unsere Kirche in Deutschland auferlegt hat. Ein christlicher Glaube, der sich von vornherein politisch neutral verhält, der verbietet sich jegliches Handeln. Ein Mensch aber, der nicht handelt, der träumt oder ist tot. Lebendiges Christentum kann auf das Handeln nicht verzichten, auch wenn Handeln bedeutet, dass man Fehler machen kann. Handeln heißt sich auf den Weg machen. Fehler zu korrigieren, nicht nur vom Ziel zu träumen, sondern den Weg zu gehen. Ein solcher Glaube, ein Glaube, der Weg ist, ein solcher Glaube ist beides: Mühsam und spannend leidvoll und lustvoll, vergeblich und lohnend.
Fronleichnam ist der Aufbruch, der Aufstand gegen den leblosen Glauben Wir schauen den Leib des Herrn, er ist zum Anfassen nahe und wir machen uns auf den Weg: Wie einst Abraham in Chaldäa, wie einst Israel aus der Sklaverei Ägyptens, wie einst die Kirche an Pfingsten. Aufstand gegen den Tod. Unser Schritt heraus aus der Kirche heute ist nur ein Symbol: Wir fangen an selbst zu denken, selbst zu handeln, wir brechen auf in unserem Leben. Ein paar wenige Schritte. Aber schon mit einem Zentimeter kann eine Lawine losbrechen. Eine Lawine, die nicht zerstört, nein, eine Lawine, die den Weg frei räumt. Amen.
Pfr. Gerald Warmuth
Liebe Gemeinde!
Pfingsten ist uns eingeprägt als Sprachenwunder. Eine tolle Show, ein tolles Spektakel. Eindrucksvoll ist es, wenn in allen Sprachen geredet wird, Feuerzungen durch die Luft fliegen. Mich beeindruckt heute etwas anderes mehr. Spektakel sind in unserer multimedialen Welt nicht mehr selten. Für mich ist Pfingsten auch ein Hörwunder. Die Jünger haben eine Botschaft wahrgenommen. In unserer Zeit finde ich das viel wichtiger. Wenn eine Botschaft sehr leise in der Stille gesprochen wird, ist es schwer sie zu verstehen. Schwerer aber ist es eine Botschaft zu verstehen, wenn rundherum Krach und Getöse ist, wenn tausende Botschaften auf einmal einstürmen. So erleb ich mich und meine Umgebung. Es ist schwer das herauszuhören, was Gott mir jetzt sagen will.
Eine gesunde Spiritualität braucht heute fast ein Hörwunder und eine Praxis, die das Hinhören fördert. Dabei meine ich nicht das äußerliche, akustische Hören, sondern das innere Wahrnehmen und Verstehen. Ein akustisch stiller Ort ist nicht genug, weil die Gedanken und Eindrücke nachschwingen. Ich habe vor drei Wochen eine Erfahrung des aktiven Hörens gemacht. Ich war auf einer Fußwallfahrt. Dabei kam ich Schritt für Schritt heraus aus dem Lärm in mir. Stunden lang, tagelang, nur Laufen, Singen, Beten. Bis ich ganz Fuß war. Und als ich ganz Fuß war- war ich auch ganz Ohr. Es ist ein Geheimnis der christlichen Meditation. Eine Sache zu tun, so intensiv, dass ich darüber alles andere vergesse. Nicht vielfältig sein ..einfältig werden. Und wenn ich ganz einfältig bin, wenn ich nur noch eine Sache tue-- und die ganz-- und wenn ich dann diese Sache auch noch aus dem Bewusstsein lasse.. sei es Singen, Laufen oder Arbeiten- wenn ich das dann auch noch loslassen kann- dann ist Stille in mir und in diese Stille kann die Botschaft eindringen wie in eine geöffnete Ohrmuschel. Erst wenn ich durch dieses Tor der Stille gegangen bin, erst dann kann ich mit Begeisterung reden. Alle, die noch nicht durch dieses Tor gegangen sind, alle die sind sogar gefährlich, weil ihre Botschaft nicht trägt, weil sie enttäuscht und am Ende Enttäuschung zurücklässt.
Arme hochkrempeln nützt nichts um unserer Kirche ein neues Pfingsten zu bereiten. Nur wenn wir uns anstecken lassen von flammender Gesundheit, wenn wir entbrennen mit einer Leidenschaft, die aus einer anderen Welt kommt, können wir der langsamen Beerdigung unserer Kirche begegnen. Wie damals 50 Tage nach der Auferstehung ist die Kirche heute am Anfang, weil sie immer am Anfang ist. Keiner Generation bleibt es erspart anzufangen, aber keiner Generation bleibt auch der Geist verwehrt, der uns entzündet, wenn wir uns darauf vorbereiten. Die Begegnung suchen und uns ansprechen lassen von dem, was wir Heilig nennen. Heiliger Geist. Misstrauen ist der größte Feind des Lebens. Vertrauen ist ein unersetzlicher Schatz. Und diesen Schatz können wir nicht herstellen. Er muss uns geschenkt werden. Vertrauen ist überlebensnotwendig. Ohne Vertrauen zerfällt die Menschengemeinschaft. Die Soziologen haben dies festgestellt und die Wirtschaftslenker wissen um diese Notwendigkeit.
Aber wie kann das Vertrauen unter den Menschen gestiftet werden? Ich bin immer wieder in der Tschechischen Republik. Gerade die postkommunistischen Gesellschaften Europas erkennen, dass Materialismus dieses Vertrauen eher zerstört, aber nicht aufbaut. So kann eine Gesellschaft nicht leben. Da ging es sogar unter dem Kommunismus besser, obwohl das Vertrauen da auch nur eine Illusion war. Als Christen wissen wir. Jedes Vertrauen von Mensch zu Mensch entspringt letztlich dem Gottvertrauen. Heiliger Geist – dieses unfassbare Wort- bezeichnet vor allem das, was wir Vertrauen nennen. Ein Vertrauen, das unsere Gesellschaft zum Leben braucht, wie die Natur die Sonne. Und doch gibt es ein großes Hindernis für uns. Wir sind übersättigt von Ersatzstoffen, so dass wir den Heiligen Geist nicht aufnehmen können. Jesus sagte zu den Jüngern: Der Friede sei mit euch. Die Menschen, die am Pfarrhaus klingeln, sagen mir: Den Frieden kannst du behalten, ich brauche Kohle, für Frieden kann ich mir nichts kaufen. Oder sie sagen mir. Ich brauche eine Wohnung. Mir wäre geholfen, wenn meine Ehe wieder ins Lot käme. Friede, was soll denn das sein. Aber Jesus sagte nicht, ich gebe euch Kraft oder ich gebe euch den Sieg. Er sagte auch nicht: Der Erfolg sei mit euch. Friede sagte er.
In einer mehr oder weniger zufriedenen Gesellschaft kann Jesus mit seinem Frieden nicht mehr landen. Muss es also erst Krieg geben? Muss also erst die Unzufriedenheit wachsen, dass es Pfingsten werden kann unter uns. Ich glaube wirklich, dass Pfingsten dort beginnt, wo Menschen unzufrieden sind. Dort wo sie in Angst leben. Und ich glaube, dass „wir“ nur zufrieden sind, weil wir betäubt sind. Betäubt von einem Polster auf dem Bankkonto. Betäubt durch die Zuversicht auf eine sichere Rente. Betäubt durch so viel Annehmlichkeiten. Vor lauter Betäubung haben wir unseren Hunger nach Leben vergessen. Leben aber ist mehr als Überleben. Das Pfingstfest zeigt uns einen Weg aus dieser Situation heraus. Die Jünger waren ängstlich, sie versteckten sich. Der Geist brach in ihren Bunker ein und lockte sie heraus. Die Situation unserer Kirche wird oft beklagt. Wir sind nur noch ein kleiner Haufen, von vielen verlacht. Wir sind nicht zufrieden. Wir sind hungrig. Aber ist das schlimm? Ist das nicht gerade die Voraussetzung? Alle Betäubungsmittel sind abgesetzt. Selbstgefälligkeit, Triumphalismus, Eitelkeit, nichts von dem bremst uns mehr. Wir sind hungrig. Was für eine Landebahn für den Heiligen Geist. Aus kleinen zerknirschten Gruppen kann oft mehr entstehen als aus großen. Das zeigt uns Pfingsten. Nur eines ist dabei Voraussetzung. Grenzenlose Offenheit auf fremde Sprachen und fremde Menschen hin. Offene Menschen und offene Gemeinden sind die beste Landebahn für den Heiligen Geist, den Geist, der Frieden und Vertrauen schafft- durch uns -. Amen
Pfr. Gerald Warmuth
Liebe Gemeinde!
Die sogenannten Abschiedsreden Jesu, die Johannes uns überliefert hat, klingen zunächst etwas wirr. Es scheint dass Jesus mehr mit sich selbst redet als zu den Jüngern. Was wir heute gehört haben ist ein Gebet und keine Rede. Dieses Gebet zeigt uns die Gedanken aber auch die Gefühle des Jesus von Nazareth. In diesem Gebet erleben wir nicht einen strahlenden Triumphator, der seinen Weg zügig geht. Wir erleben einen Menschen mit Angst und voller Mitgefühl für die Zurückbleibenden. Wir erleben einen Menschen der sich bittend einsetzt für andere.
Um zwei Dinge bittet er für die Menschen: Heilige sie in der Wahrheit! Bewahre sie, damit sie eins sind wie wir! In dieser Bitte um Einheit, liegt das eigentliche Vermächtnis diese Abschiedsgebetes. Uns wird ein Auftrag erteilt: Seid eins, wie der Vater und ich eins sind. Dieser Auftrag Jesu, gegeben vor fast 2000 Jahren ist ein zeitloser Auftrag.
Die Geschichte und die Beobachtung des Menschen lehren uns, dass diesem Auftrag immer wieder eine andere Kraft entgegensteht. Menschengruppen und einzelne Menschen grenzen sich immer wieder selbst aus und sondern sich ab. In Familien, Vereinen und Staaten entsteht Streit und Spaltung. Die Wurzeln dafür sind Gier, Eifersucht, Hass oder einfach Desinteresse.
Der Aufruf zur Einheit fordert uns. Wir sollen uns immer wieder neu anstrengen all das zu überwinden, was uns trennt. Über die Trennung in reich und Arm und über die Überwindung eines solchen Grabens reden viele tausend Christen in diesen Tagen in Münster beim Katholikentag. Uns verpflichtet sein Wort: 'Suchet den Frieden', uns alle, die wir uns nach diesem Christus nennen.
Wie revolutionär das ist, merken wir, wenn wir auf das schauen, was seit Urzeit die Menschen verbindet. Nicht das Wort, sondern das Blut. Es ist die Abstammung, die seit Jahrtausenden bestimmt, wer dazugehört und wer nicht. Ausgedehnt wurde diese Verbindung auf die Großfamilie, das Volk und die Rasse. Eines musste immer bleiben. Es gibt immer auch die anderen, die, die jenseits dieser Grenze sind, die, die nicht dazugehören. Diese Grenzen sind heute meist völlig künstlich. Ob einer für den VfB ist oder für Bayern, ob einer CDU wählt oder SPD. Ob einer einen deutschen Stempel im Pass hat oder einen anderen. Die meisten Verbindungen halten nur durch einen Gegner oder ein Feindbild zusammen. Die Verhaltensforscher bestätigen diese Beobachtung und manche Politiker hegen ein Feindbild als politisches Mittel zur Festigung der Gemeinschaft.
Uns verbindet das Wort und der Auftrag Jesu: Der Anspruch der Heiligen Schrift stellt sich der Anthropologie entgegen. Paulus erklärt im Kolosserbrief, dass es dort, wo der Mensch nach dem Bild Gottes erneuert wird, weder Griechen noch Juden, Beschnittene noch Unbeschnittene, weder Fremde, Skythen, Sklaven oder Freie gibt, sondern Christus alles in allem ist. Jesus hat eine neue Zeit begonnen und eine neue Art der Gemeinschaft und Gemeinsamkeit unter den Menschen begründet. Auf vielfache Weise versucht er die blutsmäßige Zusammengehörigkeit der Menschen auszuweiten.
Eine neue Zeit, mit der auch das Zeitalter der Ideologien begann. Uns verbindet eine Idee: So könnte man die Grundlage für den Ost-West Konflikt beschreiben, der die Spaltung in Europa vertieft hat . Kapitalismus und Kommunismus. Nationalismus und Rassismus. Eine Idee ist eben noch nicht das Wort Gottes. Eine Idee allein wird auch das neue Europa nicht nachhaltig verbinden. Nur dieses Wort Gottes, die Wahrheit, verbindet Menschen, ohne sie zu Sklaven der Einheit werden zu lassen. Kapitalismus als Einheitswort kann nicht die Lösung sein. Das Einheitswort heißt Versöhnung: Wie Gott der Vater und der Sohn eins sind, so sollen wir eins werden. Wir sollen einander Söhne und Töchter werden. Die alte Blutsverwandtschaft ist das Bild eines geistlichen Vorgangs. Diese Versöhnung geschieht dann nicht, weil es ein Präsident oder Bischof angeordnet hat. Nicht, weil es uns einen Vorteil bringt, nicht weil es unsere patriotische Pflicht ist. Versöhnung geschieht einfach aus dem Grund, dass wir zusammengehören, dass wir verwandt sind, dass wir einander in Liebe verbunden sind.
An (Pfingsten) sammeln wir Geld für die Schwesterkirchen in Osteuropa. Das allein genügt nicht. Versöhnung heißt nicht nur Almosen geben. Versöhnung heißt dauerhaftes und echtes Interesse für die Lebenswirklichkeit der Partner. Versöhnung heißt Anteil nehmen und Anteil geben am eigenen Leben. Versöhnung heißt immer auch sich selbst zu verändern. wenn Jesus sagt: Seid einmütig, seid eins. Dann sagt er nicht: Lasst alles beim alten, fangt keinen Streit an und ändert nichts. Im Gegenteil: Jesus ruft uns auf, uns zu versöhnen, uns zu verändern, anderen Anteil zu geben an unserem Leben und davon niemanden auszuschließen. Was Jesus sagt, ist nur auf den ersten Blick konservativ und beruhigend. Was Jesus sagt, ist vielmehr revolutionär und abenteuerlich. Er ruft Menschen auf, Vater und Mutter zu verlassen wie einst Abraham. Er ruft sie auf die Treue und Traditionen zu brechen, wie den jungen Mann, der zuerst seinen Vater beerdigen will. Seid eins, wie der Vater und ich eins sind, das ist keine ängstliche Beschwichtigung. Es ist eine unerhörte Aufforderung über den eigenen Schatten zu springen und neu, ganz neu zu werden. das gilt für die Ökumene, das gilt für Europa, das gilt für unsere Gemeinden in der Seelsorgeeinheit, das gilt für die verschiedenen Generationen und Gruppen in unserer Gemeinde, das gilt für unsere Familien. Amen.
Pfr. Gerald Warmuth
Liebe Gemeinden!
Dieses Fest heute lebt von den Bildern, lebt vom Staunen. Ich will dieses erstaunliche Geschehen nicht erklären. Das Geheimnisvolle an diesem biblischen Bericht lässt sich nicht auflösen. Ich will dieses erstaunliche Geschehen nur deuten, als etwas, das uns Wegweisung und Unterstützung gibt. Wenn etwas aufsteigt, spricht das unsere Sehnsucht an. Alles drängt nach oben. Oben ist das Heil und Unten ist das Elend. Ein Archetyp, der sämtliche Mythologien und Geschichten durchzieht. In unseren Träumen, in unseren Märchen überall suchen wir zu fliegen, suchen wir aufzusteigen, denn das Gute finden wir oben, auf dem Berg oder noch höher. Viele Mythen gibt es, in denen Menschen zum Olymp aufsteigen, zu Göttern erhoben werden. Es entspricht einer tiefen Sehnsucht in uns.
Das Geschehen an Himmelfahrt aber ist ganz anders. Himmelfahrt können wir nur im Zusammenhang mit Weihnachten und Ostern verstehen. Der, der da aufsteigt, ist der, der herabgestiegen ist. Der, der seine Macht aufgegeben hat, sich entäußert hat. Davon haben wir noch nie gehört. Davon träumt keiner, dass einer freiwillig hinabsteigt. Für uns Menschen ist es nur ein Alptraum, wenn wir stürzen, hinabfallen, hinuntersteigen. Himmelfahrt zeigt uns, dass Himmel und Erde verbunden sind. Dass Christus der Mittler, die Brücke ist zwischen Gott und Mensch. Und wenn es diese Brücke gibt, dann steht uns, jedem von uns der Himmel offen. Himmel hat nichts mit einer Flugreise zu tun. Das Wort Himmel bezeichnet das Ziel unserer Sehnsucht, den Ort, wo alles Gut ist. Fragen wir Kinder: Wo wohnt Gott: Sie antworten: Im Himmel. Die Antwort ist falsch, weil die Frage falsch ist. Wir müssen fragen: Wo ist der Himmel: Und die Antwort lautet: Der Himmel ist in Gott. Jede Brücke, die uns Gott näher bringt, bringt uns dem Himmel näher. - und dieser Himmel ist nicht nur oben, sondern auch um uns herum, mitten unter uns. - dieser Himmel ist nicht nur in der Zukunft, er war immer schon da und er erfüllt auch unsere Gegenwart, wenn wir ihn ergreifen. - Dieser Himmel ist nicht nur eine geistige Sache, er ist sinnlich erfahrbar und erlebbar, er ist für uns Menschen geschaffen, auch wenn wir ihn nicht begreifen und verstehen können.
Himmelfahrt, das sind viele Bilder, die eine unbeschreibliche Sache andeuten. Mit weniger als diesem Himmel sollen wir uns nicht zufrieden geben. Mit weniger als diesem Himmel, der größer ist als alles, was wir uns vorstellen können. Jesus stieg herab um wieder heimzukehren. Seine Auffahrt zum Himmel war wie eine Heimkehr. In der Heimkehr liegt die Vollendung. Das gilt für Christus. Das gilt auch für uns. "Du siehst mich" - ist die Losung des evangelischen Kirchentags in Berlin und Wittenberg, der gestern begann. „Du bist ein Gott, der mich sieht“ Die Worte stammen aus dem 16. Kapitel des Buch Genesis. Hagar, die ägyptische Sklavin von Sarai, der kinderlosen Ehefrau Abrahams, lässt sich auf deren Geheiß von Abraham schwängern und wird anschließend so von ihr gedemütigt, dass sie flieht. An einer Wasserquelle in der Wüste trifft sie einen Engel, der sie zurückschickt, ihr aber zweierlei verheißt: Ihre Nachkommen werden zahlreich sein – was sonst in der Bibel nur Männern zugesprochen wird –, und ihr Sohn Ismael wird als freier Mensch im Land wohnen. „Und sie nannte den Namen des HERRN, der mit ihr redete: Du bist ein Gott, der mich sieht“.
Wenn wir gesehen werden, dann verändert das unser ganzes Leben. Das Leben ist nicht mehr privat. Unser Leben wird zu einem Leben auf der Bühne. Für manche ist das erschreckend. Sie wären lieber isoliert in der Unbedeutendheit. Es wäre ihnen lieber, sie könnten sich ganz unbesehen ihrem Konsum und ihren Süchten widmen. Wir Menschen aber sind darauf angelegt geliebt zu werden. Und dazu gehört, dass wir gesehen werden. Einen Menschen mit Maske kann man nicht lieben oder eine Rüstung aus der nichts hervorschaut. Ein offener Himmel ist die Voraussetzung dafür, dass unsere ganze Welt, die Schöpfung Gottes in Liebe gehalten wird. Du siehst mich, das heißt der Himmel ist unser Publikum, diese Sichtweise verändert unser Verhalten entscheidend, jeden Tag und jede Stunde, die wir leben. Wenn ich angesichts des Himmels handle, dann bewahre ich die Schöpfung, die aus dem Himmel geschaffen wurde. Wenn ich angesichts des Himmels handle, dann ich es nicht wichtig, ob ich erwischt werde, wenn ich einem Menschen schade, durch Lüge oder Diebstahl. Am Ende steht das gerechte Gericht. Wenn ich angesichts des Himmels handle, dann denke ich nicht nur an die Zeit der Aufführung in diesem Menschenleben. Angesichts des Himmels denke ich an das Leben, das über meine Menschenzeit hinausgeht. Und dennoch gilt uns das Schriftwort: Schaut nicht zum Himmel. Es ist die Mahnung im Evangelium an Himmelfahrt. Schaut auf die Menschen um euch herum und handelt. Wir wollen diese Mahnung ernst nehmen in unseren Gemeinden die wir jetzt zum Gottesdienst versammelt sind..
Pfr. Gerald Warmuth
Liebe Gemeinde!
Das Dreikönigsfest heißt im kirchlichen Sprachgebrauch „Erscheinung des Herrn. Gott wird offenbar, - nicht nur an Weihnachten, den Hirten, sondern der ganzen Welt, vertreten durch die Sterndeuter.
In der Ostkirche ist das heutige Fest der eigentliche Höhepunkt des Kirchenjahres. Dieses Fest ist ein Ereignis, wo sich die Weltkirche zeigt. Die Magier, die die Sternsinger heute darstellen, sind Vertreter aus allen Ländern und von verschiedenen Hautfarben.
In diesem Fest der Erscheinung Gottes schwingt eine internationale Verbrüderung und Verschwisterung aller Kinder Gottes mit. Wenn wir aber vom 'O ffenbar werden' Gottes reden, müssen wir erstmal feststellen, dass wir Menschen immer weniger wissen, was mit dem Wort Gott eigentlich gemeint ist. Verbinden wir wirklich Erfahrungen mit dem, was wir Gott nennen. Oder hatte der Philosoph Friedrich Nietzsche recht, der sagte, dass Gott unauffällig gestorben sei und dass keiner seinen Tod bemerkt hat.
Der Jesuitenpater Alfred Delp hat schon vor fünfzig Jahren davon gesprochen, dass der moderne Mensch gottesunfähig geworden sei. Er meinte, wir hätten verlernt, wie diese Gottesbegegnung zu finden ist. Er spricht nicht von einer böswilligen Abkehr von Gott, sondern von einer hilflosen Unfähigkeit zu Gott.
Alfred Delp wurde am 2. Februar 1945 in Berlin Plötzensee hingerichtet. Sein Glaube an Gott war geprüft durch die Verfolgung und ist gewachsen im Leid. Kurz vor seinem Tod schrieb er zum Dreikönigsfest 1945 im Gefängnis eine Predigt. Seine Worte sind bis heute aktuell. Vor allem erkannte er die Probleme, die wir heute noch mit der Gottesbegegnung haben. Für ihn ist Gottesbegegnung nicht einfach eine kurze Schau wie im Theater. Gottesbegegnung verändert das Leben entscheidend. Er schreibt: „ Ein Leben ist verloren, wenn es nicht in ein Wort, in eine Haltung, in eine Leidenschaft sich zusammenfasst.“ Damit erkannte er, wie gottlos unser Leben wird, wenn es in viele verschiedene Rollen auseinanderfällt.
Diese Rollen suchen wir uns nicht einmal selbst aus. Oft sind Berufsleben, Familienaufgaben, Staatsbürgerpflichten Dinge, die wir aus schlichter Anpassung übernehmen, ohne uns bewusst dafür zu entscheiden. Ein Leben mit Gott ist ein Leben, in dem wir nicht einfach gelebt werden von außen, sondern aktiv unser Leben an einem Ziel ausrichten. Für Alfred Delp ist die Geburtsstunde der menschlichen Freiheit, die Stunde der Begegnung mit Gott. Wir Menschen müssen erst frei sein, wenn wir Gott begegnen wollen. So wie die drei Sterndeuter aus dem Osten, müssen auch wir aus unserer Heimat aufbrechen und durch die Wüste ziehen. Das ist ein Abenteuer, ein Risiko. Unsere Heimat ist unser geregeltes Leben unser Untertauchen in der Gruppe. Die Wüste für uns heute ist das Wagnis einen eigenen Weg auch alleine zu gehen und alles auf eine Karte zu setzen. Auf die Karte Gott.
Dieser Zug hinter dem Stern her hat die drei Sterndeuter verändert. Auch uns verändert die echte Suche nach Gott. Sie kostet geradezu unser Leben, das Leben in der Anpassung, das Leben in der Sicherheit. Wer nicht aufbricht wie die drei Sterndeuter aus dem Osten, kann Gott nicht begegnen. Die Sterndeuter in Jerusalem, die Priester im Tempel und die Hierarchie im Land, sie alle haben den Stern verschlafen, sie haben Gott nicht gefunden.
Alfred Delp schrieb an Dreikönig 1945 über seine Zeitgenossen. Das schlimmste ist, dass der Mensch sich an die Unfreiheit gewöhnt und selbst die ödeste und tödlichste Sklaverei sich als Freiheit aufreden lässt. Nicht nur für seine Zeitgenossen gilt das. Bis heute sind wir gefangen in den Sachzwängen und Selbstverständlichkeiten. Auch wir leben im Dunkel der Gottferne auch wir brauchen einen Stern, dem wir folgen können. Auch wir müssen immer wieder aufbrechen, wie die Könige. Gott schickt uns dieses Zeichen, das uns ruft, wenn wir genau hinschauen. Für Alfred Delp war es der Konflikt mit der Diktatur und das Todesurteil, das ihn wie ein Stern Gott immer näher kommen ließ. Immer mehr prägte die Antwort auf Gottes Anruf, die Entscheidung zum Widerstand sein Leben.
Drei verschiedene Sterne gibt es auf dem Weg zu Gott. Gott zwingt einen Menschen aus sich heraus durch die Übermacht von Not und Leid. Ein anderer Weg ist die Lockung durch Bilder der Schönheit und Wahrheit. Auch dieser Stern kann zu Gott führen. Einen dritten Stern beschreibt Alfred Delp so: „Gott quält den Menschen heraus durch unendliche Sehnsucht, durch Hunger und Durst nach Gerechtigkeit. Gerade diese quälende Sehnsucht nach Gerechtigkeit, sie ist an viele von uns hier gestellt. Sie lockt uns aufzubrechen und unsere verfestigte Welt zu verlassen. Der Mensch muss sich selbst hinter sich gelassen haben, wenn er eine Ahnung von sich selbst bekommen will. Aber wie geht das???
Ich komme mir vor wie ein Sterndeuter aus Jerusalem, der nichts versteht und nicht weiß, wie er aufbrechen soll. Ich erinnere mich aber an Menschen, die für mich wie Sterndeuter aus dem Osten waren. Menschen, die keine fertigen Pläne hatten, die eigentlich nur Hoffnungen hatten. Sie haben alles von Gott erwartet und sie haben ein unerschütterliches Vertrauen gehabt, dass Gott treu ist. Dieses Vertrauen, dieser Glaube, so denke ich, war der Antrieb der Magier aus dem Osten. An solche glaubensstarken Menschen wollen die Sternsinger erinnern. Ihren Stern, ihre unerschütterliche Hoffnung verkünden sie, keine vergangene Geschichte. Immer wieder erleben wir den Aufbruch der Könige im konkreten Leben. Für manche kann das z.B. damit beginnen, dass sie mit einer Behinderung weiterleben müssen. Sie fügen sich nicht nur in ihr Schicksal, sondern sagen aktiv Ja und verändern sich. Oder Eltern sagen Ja zu dem Leben, das sie in ihrem Kind anvertraut bekommen und übernehmen bewusst die Mitverantwortung.
Das sind die ersten Schritte auf Gott hin, die uns mehr und mehr verändern. Am Ende dieses Weges steht Bethlehem und der Stall. Dort ist nicht nur das Ziel unseres Weges, dort ist der Sinn des Lebens. Gott zu lieben und zu danken. Das begreifen wir aber erst nach und nach, wenn wir uns auf den Weg gemacht haben, wie die Sternsinger und wenn wir ihrem Stern folgen.
Pfr. Gerald Warmuth