Liebe Gemeinde!

Der Mensch ist, was er isst. Das zweite „ist“ schreibt sich mit ß oder in der neuen Rechtschreibung mit ss. Dieser Satz gilt als Kurzzusammenfassung des Materialismus und bedeutet, dass der Mensch nur eben das ist, was er an Materie aufnimmt. Wie eine Maschine sei der Mensch eben nur die Summe seiner Einzelteile. Materialismus ist die geistige Grundlage des Kommunismus und hat als Grundlage auch den Zusammenbruch der kommunistischen Gesellschaftssysteme überstanden. Materialismus ist aber auch die geistige Grundlage in unserem kapitalistischen Gesellschaftssystem. Dinge, die wir erleben, versuchen wir auf ihre Ursachen zurückzuführen, um sie zu erklären. Ein auffälliges Verhalten hat ein Mensch entweder geerbt oder er hat eine Erfahrung gemacht, die ihn entsprechend geprägt hat. So versuchen wir zum Beispiel das Verhalten der fremdenfeindlichen Gruppen zu verstehen, über die gerade in Deutschland so viel geredet wird.

Der Mensch ist, was er isst. Was er in sich hineinsteckt, was er konsumiert hat, und wer nichts zu beißen hat, der ist eben wenig oder nichts. Nur noch unsere Verfassung und unser Rechtssystem schützen das Wesen und die Würde eines Menschen. Von der breiten Masse der Bevölkerung wird dieser Schatz der Lebenswürde kaum noch mitgetragen. Der Mensch ist, was er isst. Ich möchte dieses Schlagwort des Philosophen Ludwig Feuerbachs nicht polemisch bekämpfen, sondern es ernst nehmen – angesichts des Evangeliums heute.

Ich bin das lebendige Brot Wer von diesem Brot ist, wird in Ewigkeit leben. Der Mensch ist, was er isst. Vorschnell könnten wir Katholiken denken. Jesus und Ludwig Feuerbach sind sich einig und Jesus gibt uns daher das eucharistische Brot zum Essen, damit wir etwas sind. Das Bild vom Brot, das Johannes uns überliefert, aber ist viel tiefer und hilft uns, unser Leben zu verstehen und zu gestalten. Nicht nur um körperliches Essen und Trinken geht es dabei, sondern um alles Aufnehmen. Wir Menschen sind wirklich nur das, was wir aufgenommen haben in uns, als Erfahrung. Bleiben wir im Bild vom Essen. Der Eine ist groß uns stark, weil er stets genug gegessen hatte, ein anderer stirbt an Skorbut oder durch Schwäche. Für ihn war nie genug zu essen da.

Dieses Bild vom Brot spricht darüber, warum der eine so ist und der andere eben anders. Warum sind wir Menschen verschieden? Warum schließen sich jungen Menschen den Neonazis an und schlagen auf Ausländer ein. Warum sitzen wir heute morgen hier und andere gehen im Wald spazieren oder liegen in den Betten? Warum gehen Menschen wie Mutter Theresa nach Indien und leben unter Sterbenden und ein anderer setzt sich mit 5 Millionen ins Steuerparadies ab? Warum gehen manche Menschen zitternd in den Tod und andere nehmen ihr Lebensende zuversichtlich an?

Der Mensch ist, was er isst. Die Nahrung der Mutter Theresa war offensichtlich anders als die des Steuerflüchtlings. Wenn Jesus sagt: ich bin das Brot, dann sagt er: Ich kann euch verändern. Ich kann euch zu ganz anderen Menschen machen. Das eucharistische Brot zu essen ist noch nicht genug. Diese Kommunion muss begleitet sein von einer anderen Aufnahme. Wir können die Heilige Schrift wie Nahrung aufnehmen. Auch ein Wortgottesdienst, auch ein evangelischer Gottesdienst geben uns das Brot, von dem Jesus spricht. Das Wort ist das Brot. Auch die Erfahrungen im Leben der Kirchengemeinde können wir wie Nahrung aufnehmen. Die Gemeinschaft ist das Brot. Bis wir durch und durch – nicht nur äußerlich – angefüllt sind von Christus. Über diese Aufnahme von geistlicher Nahrung muß sich jeder Christ Gedanken machen. Von alleine geht das nicht.

Mir wird das wieder klar, wenn ich die Fernsehbilder über die Neonaziaufmärsche in Deutschland sehe. Für mich sind diese Menschen auch Opfer. In ihnen sehen wir die Frucht der antireligiösen materialistischen Prägung über Jahrzehnte hinweg. In der DDR war das besonders intensiv, aber auch wir sind auf diesem Gleis einer unreligiösen Prägung. Die Früchte werden erst noch auswachsen. Haßerfüllte Menschen sind nicht böse Menschen. Schlechte Ernährung ist für mich die Erklärung. Ich denke an eine Erfahrung aus Guatemala zurück. Die Kinder in den Bergdörfern waren unterernährt. So schlimm, dass auch die schulischen Leistungen sehr schlecht waren. Aber es gab eigentlich zu essen. Das Problem war eine Fehlernährung. Eiweismangel beeinflusst die Entwicklung des Gehirns in den ersten drei Jahren. Bei jeder Taufe gaben wir den Eltern einen Zettel mit, auf dem aufgemalt war, was ein Säugling pro Woche essen sollte. Und der Priester predigte immer wieder, die Leute sollten ihre Eier nicht alle verkaufen, sondern auch den Kindern davon geben. Aus dieser Erfahrung ergibt sich für mich die Frage: nehme ich genug geistige Nahrung auf? Esse ich das Brot, das Jesus anbietet.

Zu dieser Frage spricht auch die Lesung heute: Ein Mensch der am Ende ist: Er hält es nicht mehr aus. „ Nun ist es genug, Herr. Nimm mein Leben. Der Engel rührte ihn an: Steh auf und iss, sonst ist der Weg zu weit für dich. Und Elia stand auf, er aß und trank und wanderte vierzig Tage und Nächte bis zum Gottesberg Horeb."

Essen wir das Brot des Lebens, das Jesus anbietet.

Pfr. Gerald Warmuth

Liebe Gemeinde!

Um Gericht und um Rettung geht es heute im Evangelium. Wer die Wahrheit tut, kommt zum Licht. Was ist gut und was ist böse? Was ist die Wahrheit?

Auf diese Fragen antwortet Johannes im Abschnitt des Evangeliums an diesem 4. Fastensonntag. Wer die Wahrheit tut, kommt ans Licht, damit offenbar wird, dass seine Taten in Gott vollbracht sind. Ich denke dabei an etwas, das ich in Amerika erlebt habe. Als ich in Manhatten, in New York, lebte, bemerkte ich, dass die Kanalarbeiter stets mit einem Gewehr zu ihrer Arbeit hinabstiegen. Als ich nachfragte, erfuhr ich, dass es dort im Kanal Alligatoren gab. Sie waren als Haustiere verkauft worden und, als sie nicht mehr in die Badewanne passten, haben sie die Leute ausgesetzt. Sie haben sich an die Unterwelt angepasst. Sie leben von Ratten, die sie anhand ihres Riechorgans fangen. Diese Alligatoren leben stets im Dunkeln und sind praktisch blind.

Es beschäftigt mich, dass diese Tiere gelernt haben nur im Dunkeln zu leben. So wie diese Kanalechsen stelle ich mir Menschen vor, die nur im Dunkeln leben. Sie sind wie Fledermäuse: Sie haben nie etwas anderes erlebt, aber sie kennen keine Wärme, kein Licht und keine Farbe. Muss man sie bedauern?

Wenn Jesus Menschen ruft in der Wahrheit zu leben, ans Licht zu kommen, geht es nicht um Schuld. Es geht um eine Einladung, anders zu werden und anders zu sein. Dieser Einladung zu folgen ist nicht leicht. Es ist sogar sehr schwer. Wie soll sich eine Fledermaus zu einer Taube verwandeln? Nur so versteh ich diese rätselhaften Worte des Jesus. Wer nicht umkehrt, ist schon gerichtet. Er bleibt ein Kanalwesen. Jesus ist nicht gekommen, um zu richten und zu bestrafen. In der deutschen Sprache hat Gericht und Richten einen doppelten Sinn, das erhellt das Evangelium.

Richten kann aufrichten bedeuten.... Richten kann herrichten bedeuten Es geht um ein Verwandeln. Um einen Sinn für die Wahrheit, um das Leben in der Wahrheit, als Taube, nicht als Kanalratte. Jesus ist die treibende Kraft, wir können ihm entgegenkommen, indem wir Orte suchen, wo das Leben natürlich ist, Orte von Sonne und Schönheit, voll Solidarität und Mitgefühl. Wir können geschwisterliche Gemeinschaft suchen und aufbauen, dort werden wir schneller oder langsamer verwandelt werden. Wir können solche Orte suchen und die Kanäle meiden.

Als Pfarrer werde ich oft gefragt: Ist das eine Sünde? Die wenigstens meinen diese Frage ernst. Viele Christen aber haben wirklich kein Verständnis, was Schuld ist und was Sünde ist. Viele Menschen, auch Christen, wissen erst gar nichts mit diesem Wort, mit dem Begriff Sünde anzufangen. Was ist Sünde? Die Bibel ist voll von diesem Begriff. Was heißt er? Ich greife einen Satz aus der Lesung auf: Wir waren tot infolge unserer Sünde, dadurch dass Gott uns geliebt hat, sind wir wieder lebendig. Ich will das Schriftwort umdrehen, um der Frage nachzugehen, was Sünde ist.

Sünde ist das, was uns tot macht, das, wodurch unsere Lebendigkeit beschränkt ist. Mit Tod ist hier nicht der körperliche Tod gemeint, sondern ein innerliches Absterben. Wir müssen, um das zu verstehen, unsere Wahrnehmung schulen. Mit Feingefühl müssen wir unser Leben betrachten. Dort, wo wir in guter Beziehung sind, sind wir lebendig. In guter Beziehung zu all unseren Mitmenschen. In guter Beziehung zu unserer Umwelt. In guter Beziehung zu uns selbst. In guter Beziehung zu Gott. Sünde dagegen ist der Zustand der Trennung. So ergeben sich vier Arten von Sünde.

Die Sünder, bei der die Beziehung zu den Mitmenschen zerbrochen ist. Durch böse oder lieblose Worte, oder wenn wir andere ausgenutzt haben. Wenn wir Menschen beherrschen, nicht als Menschen, sondern als Gegenstände behandeln, den alten pflegebedürftigen Onkel, den Aidskranken Nachbarn, den Asylbewerber. Den Schaden durch diese Sünde haben nicht die anderen. wir selbst verlieren die gute Beziehung zu den Menschen, wir selbst verlieren Lebendigkeit, wir werden einsam. Sünde ist eine Belastung für uns.

Eine andere Art der Sünde ist es, wenn wir die gute Beziehung zu unserer Umwelt abbrechen, weil wir sie schädigen und nicht verantwortungsvoll sind. Wenn wir unsere Gesellschaft durch Betrug schwächen, wenn wir die Ordnung aus Habgier unterlaufen, wenn wir die Natur ausbeuten, verlieren wir das unbeschwerte Leben. Psychisch werden wir krank an diesem abgespaltenen Leben. Sünde ist eine Belastung für uns.

Eine dritte Art der Sünde ist, wenn wir mit uns selbst unversöhnt sind. Wenn wir unseren Körper bekämpfen durch ehrgeizige Arbeitswut, oder aus Eitelkeit abnehmen wollen, oder uns mit Drogen aus der Realität herausflüchten. Wer sich selbst bekämpft, wer keinen Frieden mit sich selbst hat, der hat keinen Zugang zum echten Leben. Er wird von außen gelebt. Innerlich ist er tot. Sünde ist eine Belastung für uns.

Schließlich gibt es die Sünde, wenn die Beziehung zu Gott abgebrochen ist. In dieser Beziehung liegen alle 3 Arten der Beziehung. Gott begegnet uns im Nächsten, in der Umwelt und in unserem Selbst. In Gott tritt uns die Gesamtheit unserer Erfahrungen, tritt uns die ganze Welt gegenüber. Ist diese Beziehung abgebrochen, dann ist die Welt für uns ein totes Gegenüber. Sie verliert ihre Bedeutung, ihren Sinn. Aber nicht die Welt ist tot. Wir haben uns selbst ausgeschlossen aus der Lebendigkeit. Sünde ist eine Belastung für uns.

Die Frohe Botschaft des Paulus heute sagt: Dieser Zustand der Sünde, dieser Beziehungsbruch, wird von der anderen Seite her überwunden. Gott kommt mit seiner Liebe auf uns zu. Gott tut den ersten Schritt der Versöhnung. Buße und Umkehr heißt lediglich, diese ausgestreckte Hand Gottes anzunehmen. Gott drängt uns mit seiner Liebe zu dieser Versöhnung, aber er zwingt uns nicht. Jesus ist nicht gekommen, damit er die Welt richtet. Er ist gekommen um zu retten, was verloren ist. Wer nicht glaub,t ist schon gerichtet. Wer nicht ans Licht kommt, der bleibt im Dunklen. Amen.

Pfr. Gerald Warmuth

Liebe Gemeinden!

Fronleichnam ist für viele nur ein volkstümlicher Brauch, ähnlich der Fasnet. Vor allem der Blumenteppich prägt sich ein. Worum es wirklich geht, können wir nur verstehen, wenn wir daran glauben, dass dieses Brot, das wir in Jesus Namen brechen, Gottes Sohn selbst ist, der sich uns hingibt, weil er uns liebt. In dem Wunder, von dem wir gehört haben, ist es leichter zu glauben. Menschen waren hungrig, Menschen wurden satt. Erfahrung überzeugt. Wer das erlebt hat, der vertraut auf Jesus, der verliert seine Lebensangst, der freut sich des Lebens, der wird dankbar und zufrieden.

Viele fragen sich: was bringt es, dass wir glauben, dass dieses Brot kein gewöhnliches totes Brot ist, sondern der lebendige Leib Christi, den wir verehren.

Was bringt es, das ist eine typische Frage unserer Zeit und wir müssen darauf Antwort geben, so wie unsere Zeit sie braucht.

Was bringt es zu glauben? Es lohnt sich, den Glauben zu leben! Glauben schafft Vertrauen - bei mir und bei anderen. Glauben gibt Halt- mir und der Gemeinschaft. Glauben gibt Orientierung und erschließt Sinn. Glaube nimmt die Lebensangst und befreit. Und Glaube setzt Freude frei. Diese Freude kann uns tragen und halten, sie lässt uns etwas aushalten. Wie sich die hungernden Menschen von den satten unterscheiden, so sehr unterscheiden sich auch Menschen ohne Glauben von gläubigen Menschen. Wer dieses Wunder des Glaubens erlebt hat, der ist überzeugt und hält fest an diesem Vertrauen. Dieses Vertrauen, das Freude schafft, wird von vielen gefordert.

Vor allem konservative Politiker sagen, die Kirche soll nicht so viel kritisieren, sondern Positives verkünden. Schließlich verkünden wir die frohe Botschaft. Diese frohe Botschaft, die uns Menschen dankbar macht und mit Freude erfüllt, genau das braucht unser Land. So leicht geht es aber nicht. Einfach ein Lächeln aufsetzen und 'bin so froh' singen, kann echten Glauben nicht ersetzen und nicht das Vertrauen in uns schaffen, das unser Leben wirklich verwandelt. Wenn ich einen Menschen im Krankenhaus besuche, von dem der Arzt sagt, er werde bald sterben, dann kann ich diesem Menschen nicht auf die Schultern klopfen und sagen: Sie werden hundert Jahre alt. Wenn ich das täte, wäre ich ein schlechter Seelsorger und unglaubwürdig.

Echte Seelsorge ist der Wahrheit verpflichtet, auch wenn sie schwer zu ertragen ist. Echte Seelsorge geht nicht den bequemen Weg, sondern den schweren. Echte Seelsorge verschweigt den Tod nicht und hält die Ohnmacht des Lebens aus. Und trotzdem ist diese Seelsorge besser als jede Narkose, jede Ablenkung, jede Droge. Wenn wir auf das Brot, den Leib Christi schauen, dann schauen wir auf den, der für uns gestorben ist Auf den, der gelitten hat für uns. Das Warum dieses Todes bleibt ein Geheimnis, ein Mysterium. Aber genau dieses Geheimnis ist das Wunder, das unser Leben verändert und vertrauen in uns wachsen lässt. Vertrauen, das alle Fesseln sprengen und alle Angst wegblasen kann. Wenn wir nicht nur mit dem Kopf dieses Geheimnis für wahr halten, sondern es mit dem Herzen annehmen, mit Augen, Mund und Händen daran teilnehmen, werden wir verwandelt, Stück für Stück, werden wir neue Menschen.

Wenn wir das nicht alleine tun, sondern wie jetzt in Gemeinschaft, dann hilft uns das dabei, dass dieses Vertrauen nicht flüchtig ist, sondern ein solider Teil unseres Lebens wird. Kollektiver Glaube bewirkt kollektives Vertrauen und kollektive Freude. Der Glaube an das Geheimnis dieses Tages bringt uns etwas, das weiß jeder, der zurückschaut auf ein Leben in diesem Glauben. Ich erlebe es immer wieder, wenn ich einen sterbenden Menschen begleite, dessen Leben von diesem Vertrauen geprägt war. Er ist wie ein Jünger, der bei der Speisung Jesu dabei war. Was er erlebt hat, bleibt ein geheimnisvolles Wunder, das Ergebnis dieses Wunders aber, das Vertrauen, das die Angst nimmt und Freude bewirkt, das Ergebnis ist deutlich sichtbar.

Für alle, die auf dem Weg sind, bei denen dieser Glaube noch nicht beständig ist und die noch nicht erfüllt sind von Vertrauen und Lebensfreude, für die gehen wir an Fronleichnam an die Öffentlichkeit. Wir geben Zeugnis. Es ist wie eine Demonstration . Eine Demonstration, die nicht unseren Glauben stärken soll und uns bereichern soll. Eine Demonstration, die andere an Vertrauen und Dankbarkeit bereichern soll. Nicht wie die Angebote der Werbung, die auf Illusion und Schönfärberei vertrauen. Unsere Demonstration versteckt Tod, Leiden Ohnmacht und Schuld nicht. Die Wahrheit braucht nicht versteckt zu werden, weil Christus die Welt, wie sie ist, angenommen und durch seine Liebe erlöst hat. Unsere Demonstration ist eine Absage an jede Form von Droge und Weltflucht. Wir brauchen der Realität nicht zu fliehen, weil sie von Christus durchdrungen ist, wie das Brot, das wir brechen und durch die Straßen tragen. Wir ertragen uns selbst unsere Kirchengemeinde mit unserer Schwachheit und Schuld.

Vertrauen wächst im Blick auf dieses Brot. Vertrauen zu IHM und Vertrauen zu uns, Dankbarkeit und Freude. Heute gehen wir also auf die Straße. Es ist nicht nur eine Demonstration, mehr noch es ist wie ein Aufstand. Ein Aufstand wogegen? Fronleichnam ist ein Aufstand dagegen, dass unser Glaube so wenig mit unserem Leben zu tun hat. Fronleichnam ist ein Aufstand dagegen, dass unser Glaube nur im Kopf existiert. Heute glauben wir nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit den Augen- -wir sehen das Brot- heute beten wir nicht nur mit den Lippen- sondern auch mit den Augen und den Füßen. Fronleichnam ist ein erster Schritt heraus aus einem belanglosen Feierabendglauben.

Ein erster Schritt auf dem Weg zu einem vitalen christlichen Glauben. Was wir suchen ist ein vitales Christentum. Ein vitales Christentum ist zunächst dadurch gekennzeichnet, dass nichts, was mein Leben ausmacht, versteckt oder amputiert werden muss. Wir Menschen sind nicht nur Geist und Verstand. Wir haben einen Körper, einen Leib. Für diesen Leib und seine Bedürfnisse muss im Christentum ein Platz sein. Auch für die Sinne, für Musik und Tanz, für Geschmack und Schönheit. Platz muss sein für Leidenschaft. Wer Leidenschaft verdrängt, wie soll der Gott leidenschaftlich lieben? Ein Platz muss sein für Zärtlichkeit! Wer Zärtlichkeit verdrängt, wie soll der Gott innig lieben? Platz muss auch sein für Zorn und Klage, ein Platz für das Streiten! Wer nur vor Respekt erstarrt, der bleibt im Hass, wie soll der sich versöhnen? Ein Platz muss sein für Trauern und Weinen! Wer nicht mehr weinen kann, wie soll der mitfühlen mit den Schwestern und Brüdern? Das alles gehört für mich zu einem vitalen Christentum. Ein Christ-sein mit Blut, Schweiß und Tränen, mit Lachen, Tanzen und Singen.

Wenn das Christentum in unserem Land nicht völlig verschwinden soll, dann muss es mehr und mehr ein vitales, sinnliches Glauben werden. Ein Christentum als reine Idee, oder als Sonntagsbeschäftigung wird bald ins Museum gehören. Das Christentum dieses frischen Jahrhunderts ist wieder vital und sinnlich. Wertschätzung ist eines der leitenden Haltungen in dem Wandlungsprozess, der in unserer Diözese angesagt ist. Wenn wir heute ins Freie gehen, dann zeigen wir, dann demonstrieren wir, dass wir die Welt auch die Welt außerhalb unserer Kirche wertschätzen und ihr mit Liebe begegnen. Wir bringen auch dem, was uns fremd ist, unsere Liebe entgegen, weil wir alles als Schöpfung Gottes verstehen. Wir glauben an Gott und wir schätzen auch die, die sich Atheisten nennen. Ihre Kritik hilft dabei, nicht selbstzufrieden auf einem hohen Ross unseren Glauben in der Tasche zu haben. Durch Kritik müssen wir einen falschen Glauben an Gott immer wieder neu aufbauen und einen alten Wahn aufgeben. Wir können Atheisten wie ein Geschenk annehmen, weil sie uns herausfordern, immer festeren Grund für den Glauben an Gott zu finden.

Wieviel haben wir Katholiken aus der Ökumene gelernt? Im Miteinander der Konfessionen sind wir alle gewachsen. Wenn wir heute in Winnenden und Leutenbach auf die Straße, in die Öffentlichkeit gehen, dann treffen wir aber nicht nur Schwestern und Brüder in der Ökumene, wir treffen nicht nur Atheisten, die wir als Kritiker brauchen. Wir treffen auf viele Menschen, die ich als Apathisten bezeichnen würde. Ihnen ist die Frage nach Gott egal. Ich glaube, diese Menschen brauchen unsere Demonstration. Ich glaube, die meisten merken nicht, wer sich heimlich auf den Thron gesetzt, dem sie Gott nicht geben wollen. Sie merken oft gar nicht, welche primitiven Götzen sie beherrschen.

Jetzt ist diese Vitalität noch durch zwei Dinge stark beschnitten. Erstens die Verteufelung der Sexualität. Zwar ist sie in der offiziellen Lehre bereits zurückgenommen, sie steckt aber noch in den Köpfen so vieler Christen, katholisch wie evangelisch. Die Kraft des Glaubens war einst auf Angst aufgebaut. Eine schlimme Verirrung. Die Kraft für den Glauben muss aus der Lust und aus der Liebe strömen. Eine Liebe zur ganzen Welt, in der nichts verteufelt werden muss. Daran krankt unsere kirchliche Gemeinschaft, dass wir uns zu oft der Welt wie sie ist entgegenstellen und sie verteufeln. Wir brauchen nicht alles annehmen und nachmachen, was es gibt, aber wir können alles in Liebe betrachten, bestaunen und wertschätzen. Darin ist uns Papst Franziskus ein Vorbild.

Eine fatale Beschneidung des Glaubens ist die unbedingte politische Abstinenz die sich unsere Kirche in Deutschland auferlegt hat. Ein christlicher Glaube, der sich von vornherein politisch neutral verhält, der verbietet sich jegliches Handeln. Ein Mensch aber, der nicht handelt, der träumt oder ist tot. Lebendiges Christentum kann auf das Handeln nicht verzichten, auch wenn Handeln bedeutet, dass man Fehler machen kann. Handeln heißt sich auf den Weg machen. Fehler zu korrigieren, nicht nur vom Ziel zu träumen, sondern den Weg zu gehen. Ein solcher Glaube, ein Glaube, der Weg ist, ein solcher Glaube ist beides: Mühsam und spannend leidvoll und lustvoll, vergeblich und lohnend.

Fronleichnam ist der Aufbruch, der Aufstand gegen den leblosen Glauben Wir schauen den Leib des Herrn, er ist zum Anfassen nahe und wir machen uns auf den Weg: Wie einst Abraham in Chaldäa, wie einst Israel aus der Sklaverei Ägyptens, wie einst die Kirche an Pfingsten. Aufstand gegen den Tod. Unser Schritt heraus aus der Kirche heute ist nur ein Symbol: Wir fangen an selbst zu denken, selbst zu handeln, wir brechen auf in unserem Leben. Ein paar wenige Schritte. Aber schon mit einem Zentimeter kann eine Lawine losbrechen. Eine Lawine, die nicht zerstört, nein, eine Lawine, die den Weg frei räumt. Amen.

Pfr. Gerald Warmuth

Liebe Gemeinde!

Die sogenannten Abschiedsreden Jesu, die Johannes uns überliefert hat, klingen zunächst etwas wirr. Es scheint dass Jesus mehr mit sich selbst redet als zu den Jüngern. Was wir heute gehört haben ist ein Gebet und keine Rede. Dieses Gebet zeigt uns die Gedanken aber auch die Gefühle des Jesus von Nazareth. In diesem Gebet erleben wir nicht einen strahlenden Triumphator, der seinen Weg zügig geht. Wir erleben einen Menschen mit Angst und voller Mitgefühl für die Zurückbleibenden. Wir erleben einen Menschen der sich bittend einsetzt für andere.

Um zwei Dinge bittet er für die Menschen: Heilige sie in der Wahrheit! Bewahre sie, damit sie eins sind wie wir! In dieser Bitte um Einheit, liegt das eigentliche Vermächtnis diese Abschiedsgebetes. Uns wird ein Auftrag erteilt: Seid eins, wie der Vater und ich eins sind. Dieser Auftrag Jesu, gegeben vor fast 2000 Jahren ist ein zeitloser Auftrag.

Die Geschichte und die Beobachtung des Menschen lehren uns, dass diesem Auftrag immer wieder eine andere Kraft entgegensteht. Menschengruppen und einzelne Menschen grenzen sich immer wieder selbst aus und sondern sich ab. In Familien, Vereinen und Staaten entsteht Streit und Spaltung. Die Wurzeln dafür sind Gier, Eifersucht, Hass oder einfach Desinteresse.

Der Aufruf zur Einheit fordert uns. Wir sollen uns immer wieder neu anstrengen all das zu überwinden, was uns trennt. Über die Trennung in reich und Arm und über die Überwindung eines solchen Grabens reden viele tausend Christen in diesen Tagen in Münster beim Katholikentag. Uns verpflichtet sein Wort: 'Suchet den Frieden', uns alle, die wir uns nach diesem Christus nennen.

Wie revolutionär das ist, merken wir, wenn wir auf das schauen, was seit Urzeit die Menschen verbindet. Nicht das Wort, sondern das Blut. Es ist die Abstammung, die seit Jahrtausenden bestimmt, wer dazugehört und wer nicht. Ausgedehnt wurde diese Verbindung auf die Großfamilie, das Volk und die Rasse. Eines musste immer bleiben. Es gibt immer auch die anderen, die, die jenseits dieser Grenze sind, die, die nicht dazugehören. Diese Grenzen sind heute meist völlig künstlich. Ob einer für den VfB ist oder für Bayern, ob einer CDU wählt oder SPD. Ob einer einen deutschen Stempel im Pass hat oder einen anderen. Die meisten Verbindungen halten nur durch einen Gegner oder ein Feindbild zusammen. Die Verhaltensforscher bestätigen diese Beobachtung und manche Politiker hegen ein Feindbild als politisches Mittel zur Festigung der Gemeinschaft.

Uns verbindet das Wort und der Auftrag Jesu: Der Anspruch der Heiligen Schrift stellt sich der Anthropologie entgegen. Paulus erklärt im Kolosserbrief, dass es dort, wo der Mensch nach dem Bild Gottes erneuert wird, weder Griechen noch Juden, Beschnittene noch Unbeschnittene, weder Fremde, Skythen, Sklaven oder Freie gibt, sondern Christus alles in allem ist. Jesus hat eine neue Zeit begonnen und eine neue Art der Gemeinschaft und Gemeinsamkeit unter den Menschen begründet. Auf vielfache Weise versucht er die blutsmäßige Zusammengehörigkeit der Menschen auszuweiten.

Eine neue Zeit, mit der auch das Zeitalter der Ideologien begann. Uns verbindet eine Idee: So könnte man die Grundlage für den Ost-West Konflikt beschreiben, der die Spaltung in Europa vertieft hat . Kapitalismus und Kommunismus. Nationalismus und Rassismus. Eine Idee ist eben noch nicht das Wort Gottes. Eine Idee allein wird auch das neue Europa nicht nachhaltig verbinden. Nur dieses Wort Gottes, die Wahrheit, verbindet Menschen, ohne sie zu Sklaven der Einheit werden zu lassen. Kapitalismus als Einheitswort kann nicht die Lösung sein. Das Einheitswort heißt Versöhnung: Wie Gott der Vater und der Sohn eins sind, so sollen wir eins werden. Wir sollen einander Söhne und Töchter werden. Die alte Blutsverwandtschaft ist das Bild eines geistlichen Vorgangs. Diese Versöhnung geschieht dann nicht, weil es ein Präsident oder Bischof angeordnet hat. Nicht, weil es uns einen Vorteil bringt, nicht weil es unsere patriotische Pflicht ist. Versöhnung geschieht einfach aus dem Grund, dass wir zusammengehören, dass wir verwandt sind, dass wir einander in Liebe verbunden sind.

An (Pfingsten) sammeln wir Geld für die Schwesterkirchen in Osteuropa. Das allein genügt nicht. Versöhnung heißt nicht nur Almosen geben. Versöhnung heißt dauerhaftes und echtes Interesse für die Lebenswirklichkeit der Partner. Versöhnung heißt Anteil nehmen und Anteil geben am eigenen Leben. Versöhnung heißt immer auch sich selbst zu verändern. wenn Jesus sagt: Seid einmütig, seid eins. Dann sagt er nicht: Lasst alles beim alten, fangt keinen Streit an und ändert nichts. Im Gegenteil: Jesus ruft uns auf, uns zu versöhnen, uns zu verändern, anderen Anteil zu geben an unserem Leben und davon niemanden auszuschließen. Was Jesus sagt, ist nur auf den ersten Blick konservativ und beruhigend. Was Jesus sagt, ist vielmehr revolutionär und abenteuerlich. Er ruft Menschen auf, Vater und Mutter zu verlassen wie einst Abraham. Er ruft sie auf die Treue und Traditionen zu brechen, wie den jungen Mann, der zuerst seinen Vater beerdigen will. Seid eins, wie der Vater und ich eins sind, das ist keine ängstliche Beschwichtigung. Es ist eine unerhörte Aufforderung über den eigenen Schatten zu springen und neu, ganz neu zu werden. das gilt für die Ökumene, das gilt für Europa, das gilt für unsere Gemeinden in der Seelsorgeeinheit, das gilt für die verschiedenen Generationen und Gruppen in unserer Gemeinde, das gilt für unsere Familien. Amen.

Pfr. Gerald Warmuth