Liebe Gemeinde!

Der Mensch ist, was er isst. Das zweite „ist“ schreibt sich mit ß oder in der neuen Rechtschreibung mit ss. Dieser Satz gilt als Kurzzusammenfassung des Materialismus und bedeutet, dass der Mensch nur eben das ist, was er an Materie aufnimmt. Wie eine Maschine sei der Mensch eben nur die Summe seiner Einzelteile. Materialismus ist die geistige Grundlage des Kommunismus und hat als Grundlage auch den Zusammenbruch der kommunistischen Gesellschaftssysteme überstanden. Materialismus ist aber auch die geistige Grundlage in unserem kapitalistischen Gesellschaftssystem. Dinge, die wir erleben, versuchen wir auf ihre Ursachen zurückzuführen, um sie zu erklären. Ein auffälliges Verhalten hat ein Mensch entweder geerbt oder er hat eine Erfahrung gemacht, die ihn entsprechend geprägt hat. So versuchen wir zum Beispiel das Verhalten der fremdenfeindlichen Gruppen zu verstehen, über die gerade in Deutschland so viel geredet wird.

Der Mensch ist, was er isst. Was er in sich hineinsteckt, was er konsumiert hat, und wer nichts zu beißen hat, der ist eben wenig oder nichts. Nur noch unsere Verfassung und unser Rechtssystem schützen das Wesen und die Würde eines Menschen. Von der breiten Masse der Bevölkerung wird dieser Schatz der Lebenswürde kaum noch mitgetragen. Der Mensch ist, was er isst. Ich möchte dieses Schlagwort des Philosophen Ludwig Feuerbachs nicht polemisch bekämpfen, sondern es ernst nehmen – angesichts des Evangeliums heute.

Ich bin das lebendige Brot Wer von diesem Brot ist, wird in Ewigkeit leben. Der Mensch ist, was er isst. Vorschnell könnten wir Katholiken denken. Jesus und Ludwig Feuerbach sind sich einig und Jesus gibt uns daher das eucharistische Brot zum Essen, damit wir etwas sind. Das Bild vom Brot, das Johannes uns überliefert, aber ist viel tiefer und hilft uns, unser Leben zu verstehen und zu gestalten. Nicht nur um körperliches Essen und Trinken geht es dabei, sondern um alles Aufnehmen. Wir Menschen sind wirklich nur das, was wir aufgenommen haben in uns, als Erfahrung. Bleiben wir im Bild vom Essen. Der Eine ist groß uns stark, weil er stets genug gegessen hatte, ein anderer stirbt an Skorbut oder durch Schwäche. Für ihn war nie genug zu essen da.

Dieses Bild vom Brot spricht darüber, warum der eine so ist und der andere eben anders. Warum sind wir Menschen verschieden? Warum schließen sich jungen Menschen den Neonazis an und schlagen auf Ausländer ein. Warum sitzen wir heute morgen hier und andere gehen im Wald spazieren oder liegen in den Betten? Warum gehen Menschen wie Mutter Theresa nach Indien und leben unter Sterbenden und ein anderer setzt sich mit 5 Millionen ins Steuerparadies ab? Warum gehen manche Menschen zitternd in den Tod und andere nehmen ihr Lebensende zuversichtlich an?

Der Mensch ist, was er isst. Die Nahrung der Mutter Theresa war offensichtlich anders als die des Steuerflüchtlings. Wenn Jesus sagt: ich bin das Brot, dann sagt er: Ich kann euch verändern. Ich kann euch zu ganz anderen Menschen machen. Das eucharistische Brot zu essen ist noch nicht genug. Diese Kommunion muss begleitet sein von einer anderen Aufnahme. Wir können die Heilige Schrift wie Nahrung aufnehmen. Auch ein Wortgottesdienst, auch ein evangelischer Gottesdienst geben uns das Brot, von dem Jesus spricht. Das Wort ist das Brot. Auch die Erfahrungen im Leben der Kirchengemeinde können wir wie Nahrung aufnehmen. Die Gemeinschaft ist das Brot. Bis wir durch und durch – nicht nur äußerlich – angefüllt sind von Christus. Über diese Aufnahme von geistlicher Nahrung muß sich jeder Christ Gedanken machen. Von alleine geht das nicht.

Mir wird das wieder klar, wenn ich die Fernsehbilder über die Neonaziaufmärsche in Deutschland sehe. Für mich sind diese Menschen auch Opfer. In ihnen sehen wir die Frucht der antireligiösen materialistischen Prägung über Jahrzehnte hinweg. In der DDR war das besonders intensiv, aber auch wir sind auf diesem Gleis einer unreligiösen Prägung. Die Früchte werden erst noch auswachsen. Haßerfüllte Menschen sind nicht böse Menschen. Schlechte Ernährung ist für mich die Erklärung. Ich denke an eine Erfahrung aus Guatemala zurück. Die Kinder in den Bergdörfern waren unterernährt. So schlimm, dass auch die schulischen Leistungen sehr schlecht waren. Aber es gab eigentlich zu essen. Das Problem war eine Fehlernährung. Eiweismangel beeinflusst die Entwicklung des Gehirns in den ersten drei Jahren. Bei jeder Taufe gaben wir den Eltern einen Zettel mit, auf dem aufgemalt war, was ein Säugling pro Woche essen sollte. Und der Priester predigte immer wieder, die Leute sollten ihre Eier nicht alle verkaufen, sondern auch den Kindern davon geben. Aus dieser Erfahrung ergibt sich für mich die Frage: nehme ich genug geistige Nahrung auf? Esse ich das Brot, das Jesus anbietet.

Zu dieser Frage spricht auch die Lesung heute: Ein Mensch der am Ende ist: Er hält es nicht mehr aus. „ Nun ist es genug, Herr. Nimm mein Leben. Der Engel rührte ihn an: Steh auf und iss, sonst ist der Weg zu weit für dich. Und Elia stand auf, er aß und trank und wanderte vierzig Tage und Nächte bis zum Gottesberg Horeb."

Essen wir das Brot des Lebens, das Jesus anbietet.

Pfr. Gerald Warmuth