Liebe Gemeinden!

Fronleichnam ist für viele nur ein volkstümlicher Brauch, ähnlich der Fasnet. Vor allem der Blumenteppich prägt sich ein. Worum es wirklich geht, können wir nur verstehen, wenn wir daran glauben, dass dieses Brot, das wir in Jesus Namen brechen, Gottes Sohn selbst ist, der sich uns hingibt, weil er uns liebt. In dem Wunder, von dem wir gehört haben, ist es leichter zu glauben. Menschen waren hungrig, Menschen wurden satt. Erfahrung überzeugt. Wer das erlebt hat, der vertraut auf Jesus, der verliert seine Lebensangst, der freut sich des Lebens, der wird dankbar und zufrieden.

Viele fragen sich: was bringt es, dass wir glauben, dass dieses Brot kein gewöhnliches totes Brot ist, sondern der lebendige Leib Christi, den wir verehren.

Was bringt es, das ist eine typische Frage unserer Zeit und wir müssen darauf Antwort geben, so wie unsere Zeit sie braucht.

Was bringt es zu glauben? Es lohnt sich, den Glauben zu leben! Glauben schafft Vertrauen - bei mir und bei anderen. Glauben gibt Halt- mir und der Gemeinschaft. Glauben gibt Orientierung und erschließt Sinn. Glaube nimmt die Lebensangst und befreit. Und Glaube setzt Freude frei. Diese Freude kann uns tragen und halten, sie lässt uns etwas aushalten. Wie sich die hungernden Menschen von den satten unterscheiden, so sehr unterscheiden sich auch Menschen ohne Glauben von gläubigen Menschen. Wer dieses Wunder des Glaubens erlebt hat, der ist überzeugt und hält fest an diesem Vertrauen. Dieses Vertrauen, das Freude schafft, wird von vielen gefordert.

Vor allem konservative Politiker sagen, die Kirche soll nicht so viel kritisieren, sondern Positives verkünden. Schließlich verkünden wir die frohe Botschaft. Diese frohe Botschaft, die uns Menschen dankbar macht und mit Freude erfüllt, genau das braucht unser Land. So leicht geht es aber nicht. Einfach ein Lächeln aufsetzen und 'bin so froh' singen, kann echten Glauben nicht ersetzen und nicht das Vertrauen in uns schaffen, das unser Leben wirklich verwandelt. Wenn ich einen Menschen im Krankenhaus besuche, von dem der Arzt sagt, er werde bald sterben, dann kann ich diesem Menschen nicht auf die Schultern klopfen und sagen: Sie werden hundert Jahre alt. Wenn ich das täte, wäre ich ein schlechter Seelsorger und unglaubwürdig.

Echte Seelsorge ist der Wahrheit verpflichtet, auch wenn sie schwer zu ertragen ist. Echte Seelsorge geht nicht den bequemen Weg, sondern den schweren. Echte Seelsorge verschweigt den Tod nicht und hält die Ohnmacht des Lebens aus. Und trotzdem ist diese Seelsorge besser als jede Narkose, jede Ablenkung, jede Droge. Wenn wir auf das Brot, den Leib Christi schauen, dann schauen wir auf den, der für uns gestorben ist Auf den, der gelitten hat für uns. Das Warum dieses Todes bleibt ein Geheimnis, ein Mysterium. Aber genau dieses Geheimnis ist das Wunder, das unser Leben verändert und vertrauen in uns wachsen lässt. Vertrauen, das alle Fesseln sprengen und alle Angst wegblasen kann. Wenn wir nicht nur mit dem Kopf dieses Geheimnis für wahr halten, sondern es mit dem Herzen annehmen, mit Augen, Mund und Händen daran teilnehmen, werden wir verwandelt, Stück für Stück, werden wir neue Menschen.

Wenn wir das nicht alleine tun, sondern wie jetzt in Gemeinschaft, dann hilft uns das dabei, dass dieses Vertrauen nicht flüchtig ist, sondern ein solider Teil unseres Lebens wird. Kollektiver Glaube bewirkt kollektives Vertrauen und kollektive Freude. Der Glaube an das Geheimnis dieses Tages bringt uns etwas, das weiß jeder, der zurückschaut auf ein Leben in diesem Glauben. Ich erlebe es immer wieder, wenn ich einen sterbenden Menschen begleite, dessen Leben von diesem Vertrauen geprägt war. Er ist wie ein Jünger, der bei der Speisung Jesu dabei war. Was er erlebt hat, bleibt ein geheimnisvolles Wunder, das Ergebnis dieses Wunders aber, das Vertrauen, das die Angst nimmt und Freude bewirkt, das Ergebnis ist deutlich sichtbar.

Für alle, die auf dem Weg sind, bei denen dieser Glaube noch nicht beständig ist und die noch nicht erfüllt sind von Vertrauen und Lebensfreude, für die gehen wir an Fronleichnam an die Öffentlichkeit. Wir geben Zeugnis. Es ist wie eine Demonstration . Eine Demonstration, die nicht unseren Glauben stärken soll und uns bereichern soll. Eine Demonstration, die andere an Vertrauen und Dankbarkeit bereichern soll. Nicht wie die Angebote der Werbung, die auf Illusion und Schönfärberei vertrauen. Unsere Demonstration versteckt Tod, Leiden Ohnmacht und Schuld nicht. Die Wahrheit braucht nicht versteckt zu werden, weil Christus die Welt, wie sie ist, angenommen und durch seine Liebe erlöst hat. Unsere Demonstration ist eine Absage an jede Form von Droge und Weltflucht. Wir brauchen der Realität nicht zu fliehen, weil sie von Christus durchdrungen ist, wie das Brot, das wir brechen und durch die Straßen tragen. Wir ertragen uns selbst unsere Kirchengemeinde mit unserer Schwachheit und Schuld.

Vertrauen wächst im Blick auf dieses Brot. Vertrauen zu IHM und Vertrauen zu uns, Dankbarkeit und Freude. Heute gehen wir also auf die Straße. Es ist nicht nur eine Demonstration, mehr noch es ist wie ein Aufstand. Ein Aufstand wogegen? Fronleichnam ist ein Aufstand dagegen, dass unser Glaube so wenig mit unserem Leben zu tun hat. Fronleichnam ist ein Aufstand dagegen, dass unser Glaube nur im Kopf existiert. Heute glauben wir nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit den Augen- -wir sehen das Brot- heute beten wir nicht nur mit den Lippen- sondern auch mit den Augen und den Füßen. Fronleichnam ist ein erster Schritt heraus aus einem belanglosen Feierabendglauben.

Ein erster Schritt auf dem Weg zu einem vitalen christlichen Glauben. Was wir suchen ist ein vitales Christentum. Ein vitales Christentum ist zunächst dadurch gekennzeichnet, dass nichts, was mein Leben ausmacht, versteckt oder amputiert werden muss. Wir Menschen sind nicht nur Geist und Verstand. Wir haben einen Körper, einen Leib. Für diesen Leib und seine Bedürfnisse muss im Christentum ein Platz sein. Auch für die Sinne, für Musik und Tanz, für Geschmack und Schönheit. Platz muss sein für Leidenschaft. Wer Leidenschaft verdrängt, wie soll der Gott leidenschaftlich lieben? Ein Platz muss sein für Zärtlichkeit! Wer Zärtlichkeit verdrängt, wie soll der Gott innig lieben? Platz muss auch sein für Zorn und Klage, ein Platz für das Streiten! Wer nur vor Respekt erstarrt, der bleibt im Hass, wie soll der sich versöhnen? Ein Platz muss sein für Trauern und Weinen! Wer nicht mehr weinen kann, wie soll der mitfühlen mit den Schwestern und Brüdern? Das alles gehört für mich zu einem vitalen Christentum. Ein Christ-sein mit Blut, Schweiß und Tränen, mit Lachen, Tanzen und Singen.

Wenn das Christentum in unserem Land nicht völlig verschwinden soll, dann muss es mehr und mehr ein vitales, sinnliches Glauben werden. Ein Christentum als reine Idee, oder als Sonntagsbeschäftigung wird bald ins Museum gehören. Das Christentum dieses frischen Jahrhunderts ist wieder vital und sinnlich. Wertschätzung ist eines der leitenden Haltungen in dem Wandlungsprozess, der in unserer Diözese angesagt ist. Wenn wir heute ins Freie gehen, dann zeigen wir, dann demonstrieren wir, dass wir die Welt auch die Welt außerhalb unserer Kirche wertschätzen und ihr mit Liebe begegnen. Wir bringen auch dem, was uns fremd ist, unsere Liebe entgegen, weil wir alles als Schöpfung Gottes verstehen. Wir glauben an Gott und wir schätzen auch die, die sich Atheisten nennen. Ihre Kritik hilft dabei, nicht selbstzufrieden auf einem hohen Ross unseren Glauben in der Tasche zu haben. Durch Kritik müssen wir einen falschen Glauben an Gott immer wieder neu aufbauen und einen alten Wahn aufgeben. Wir können Atheisten wie ein Geschenk annehmen, weil sie uns herausfordern, immer festeren Grund für den Glauben an Gott zu finden.

Wieviel haben wir Katholiken aus der Ökumene gelernt? Im Miteinander der Konfessionen sind wir alle gewachsen. Wenn wir heute in Winnenden und Leutenbach auf die Straße, in die Öffentlichkeit gehen, dann treffen wir aber nicht nur Schwestern und Brüder in der Ökumene, wir treffen nicht nur Atheisten, die wir als Kritiker brauchen. Wir treffen auf viele Menschen, die ich als Apathisten bezeichnen würde. Ihnen ist die Frage nach Gott egal. Ich glaube, diese Menschen brauchen unsere Demonstration. Ich glaube, die meisten merken nicht, wer sich heimlich auf den Thron gesetzt, dem sie Gott nicht geben wollen. Sie merken oft gar nicht, welche primitiven Götzen sie beherrschen.

Jetzt ist diese Vitalität noch durch zwei Dinge stark beschnitten. Erstens die Verteufelung der Sexualität. Zwar ist sie in der offiziellen Lehre bereits zurückgenommen, sie steckt aber noch in den Köpfen so vieler Christen, katholisch wie evangelisch. Die Kraft des Glaubens war einst auf Angst aufgebaut. Eine schlimme Verirrung. Die Kraft für den Glauben muss aus der Lust und aus der Liebe strömen. Eine Liebe zur ganzen Welt, in der nichts verteufelt werden muss. Daran krankt unsere kirchliche Gemeinschaft, dass wir uns zu oft der Welt wie sie ist entgegenstellen und sie verteufeln. Wir brauchen nicht alles annehmen und nachmachen, was es gibt, aber wir können alles in Liebe betrachten, bestaunen und wertschätzen. Darin ist uns Papst Franziskus ein Vorbild.

Eine fatale Beschneidung des Glaubens ist die unbedingte politische Abstinenz die sich unsere Kirche in Deutschland auferlegt hat. Ein christlicher Glaube, der sich von vornherein politisch neutral verhält, der verbietet sich jegliches Handeln. Ein Mensch aber, der nicht handelt, der träumt oder ist tot. Lebendiges Christentum kann auf das Handeln nicht verzichten, auch wenn Handeln bedeutet, dass man Fehler machen kann. Handeln heißt sich auf den Weg machen. Fehler zu korrigieren, nicht nur vom Ziel zu träumen, sondern den Weg zu gehen. Ein solcher Glaube, ein Glaube, der Weg ist, ein solcher Glaube ist beides: Mühsam und spannend leidvoll und lustvoll, vergeblich und lohnend.

Fronleichnam ist der Aufbruch, der Aufstand gegen den leblosen Glauben Wir schauen den Leib des Herrn, er ist zum Anfassen nahe und wir machen uns auf den Weg: Wie einst Abraham in Chaldäa, wie einst Israel aus der Sklaverei Ägyptens, wie einst die Kirche an Pfingsten. Aufstand gegen den Tod. Unser Schritt heraus aus der Kirche heute ist nur ein Symbol: Wir fangen an selbst zu denken, selbst zu handeln, wir brechen auf in unserem Leben. Ein paar wenige Schritte. Aber schon mit einem Zentimeter kann eine Lawine losbrechen. Eine Lawine, die nicht zerstört, nein, eine Lawine, die den Weg frei räumt. Amen.

Pfr. Gerald Warmuth